Sonntag, 25. Juli 2010

Cinema Jenin

Wir möchten Ihnen heute Cinema Jenin vorstellen.

Die Stadt Jenin ist auf dem Weg, eine gewisse Normalität wieder zu erlangen, nachdem blutige Kämpfe und Blockaden Isolation und den Ausnahmezustand bedingten und ein unbeschwertes Leben unmöglich machten. Mit dem Wiederaufbau des Kinos in Jenin soll ein Ort für eine positive Freizeitgestaltung entstehen, für Frauen, für kulturellen und interkulturellen Diskurs und für Begegnungen über alle Grenzen hinweg.

Teil des Projekts sind ein Open-Air Kino mit 500 Sitzen, ein 3D-Kino mit 350 Sitzen, ein Café, Produktionsräume, eine Medienbibliothek, ein Gästehaus und die Keimzelle einer kleinen Filmschule, sowie Untertitel- und Synchronstudio.

Die Renovierungsarbeiten an den Kernbereichen werden im Juli abgeschlossen sein und das Projekt wird mit einem kleinen Festival am 5. August 2010 eröffnet.

Mehr unter www.cinemajenin.org

Samstag, 24. Juli 2010

Der "Bode" der Tatsachen

Vor kurzem habe ich mir einen lang gehegten Wunsch erfüllt und mir „den Bode“ gekauft. „Der Bode“ bezeichnet das 1957 erschienene Buch Kinos – Filmtheater und Filmvorführräume des Architekten Paul Bode (Callwey, München). Es handelt sich um eines der umfangreichsten Werke zur Kinoarchitektur, und es ist selten und teuer. 120 bis 150 Euro kann man dafür investieren, es sei denn, man hat Glück und erwischt wie ich ein gutes Exemplar im Ausland. Meines stand für 60$ in einem Buchladen am Broadway und hat mich dank Internetbestellung relativ bequem erreicht. Relativ heißt, dass ich es beim 12 km entfernten Zollamt unter Erduldung nicht unerheblicher Wartezeit abholen musste. Immerhin hat sich die Androhung diverser Gebühren nicht bewahrheitet.

Was den Bode auszeichnet, ist seine ungeheure Genauigkeit und Detailtiefe. Es handelt sich nicht um ein Buch für denjenigen, der großformatige Farbfotos von Kinofassaden und Zuschauerräumen bestaunen möchte (die sind beim „Lacloche“ besser aufgehoben), sondern um eine Handreichung für Kinobetreiber und -erbauer, die von der Standortwahl über die Gestaltung der Verkehrswege im Haus, die Außenwerbung bishin zu technischen Fragestellungen nahezu jeden Aspekt beleuchtet, teils bis ins Detail der Konstruktionszeichnung.

Vergleicht man den Bode mit einem neueren Werk zur Kinoarchitektur wie „Weiße Wände“, das die Bauhaus-Uni und die AG Kino anlässlich eines studentischen Entwurfsprojekts zur Filmkunstmesse 2008 herausgegeben haben, wird eines augenfällig: Bode hat das Filmtheater am Zenit der Zuschauerzahlen 1957 (damals zählte man über 800 Millionen Kinobesucher im Jahr, heute erreicht man nicht ein Viertel davon) aus einer völlig anderen Richtung gedacht als die, die sich heute den Kopf darüber zerbrechen.

Kino gut, alles gut

Paul Bode beschäftigt sich nicht mit Visionen, sondern mit Fakten. Das Kino ist Leitmedium, es stellt sich weniger die Frage, wie man den Zuschauer hineinbekommt, sondern eher, wie die Kapazität zu bemessen sei und wie man es bestmöglich gestalte. Zwar ist ihm bewusst, dass sich das gerade aufkommende Fernsehen zur ernstzunehmenden Konkurrenz entwickeln könnte, als bedrohlich nimmt er es aber noch nicht wahr:
„Je mehr das Fernsehen im häuslichen Kreise an Boden gewinnt, umso mehr wird sich das Lichtspieltheater bemühen müssen, durch die Vervollkommnung seiner Vorstellungen den Besuchern mehr zu bieten, als das Fernsehen es vermag. Es kann mehr bieten, weil dem Fernsehen die illusionsfördernden technischen und räumlichen Faktoren des Filmtheaters fehlen, ebenso die (zumindest angestrebte) gesellschaftliche Plattform, auf welcher der Film zu einem Gemeinschaftserlebnis wird. Wie wichtig diese Erkenntnis ist, zeigt die Entwicklung in den USA, wo die Einbuße, welche die Filmtheaterwirtschaft infolge des Fernsehens erlitt, nicht zuletzt auf den mangelhaften Zustand der meisten Kinos zurückzuführen ist.“ (S. 22)
Bode behält bis heute recht damit, leider nur teilt die Majorität der Bevölkerung diese Ansicht nicht oder handelt zumindest nicht danach.

Bodes Denkrichtung geht von innen nach außen:
„Mittelpunkt eines solchen idealen Hauses ist der Zuschauerraum. Seine ideale Form ergibt sich wiederum aus seiner Funktion, die größtmögliche Zahl von Sitzplätzen vor einer Bildwand maximaler Größe so anzuordnen, daß eine gute Sicht und Hörsamkeit von allen Plätzen gewährleistet ist. Um den Zuschauerraum herum sind die anderen Räume gemäß ihrem Verwendungszweck zu gruppieren.“ (S. 23)
Dementsprechend gibt es im Bode nur einen kleinen Fototeil, der Rest der zahlreichen Illustrationen besteht aus schematischen Zeichnungen und Plänen. Er beschäftigt sich kaum mit der Fassadengestaltung, dafür aber mit exakten Daten zur idealen Reihenüberhöhung, Blickachsen und Leinwandabständen.

Verschiebung der Aufmerksamkeit

Diese Funktionsorientierung passt gut zur Idee des Bauhaus. Diejenigen, die unter diesem Label ihre Entwürfe in „Weiße Wand“ veröffentlichen, verfolgen aber eher einen ornamentalen Ansatz. Sie entwickeln ihre Filmtheater nicht aus der Perspektive des Inhalts – des Films, seiner Projektion und Rezeption –, sondern aus der Perspektive der Gesellschaft und des Städtebaus. Die Illustrationen zeigen zum großen Teil aufwendige Fassaden, die die „Funktion“ des Gebäudes in die Stadt hinaus strahlen sollen, in dem sie mit der Form des Filmstreifens arbeiten oder die Projektion auf die Straße verlängern. Ihr zentraler Raum ist aber zumeist das Foyer, um das sich dann Kinosäle, Bars, Gastronomie und weiteres gruppieren. Sie denken von außen nach innen.

Dementsprechend ähneln die Kinosäle oft dem, was der Filmrestaurator Nicola Mazzanti „volumetrische Scherze“ nennt. Die meist nur sehr grob angedeutete Anordnung der Zuschauer zur Leinwand erscheint in vielen Entwürfen schon auf den ersten Blick widersinnig, ebenso wie manche Saalformen und –formate. Die Bildfläche befindet sich in den extremsten Fällen an der Decke oder am Boden, die Zuschauer liegen oder stehen in Einzelfällen – das taugt nur als Attraktion, als Kuriosität.

Bei Lacloche findet man diesen Übergang ebenfalls. Sein Buch besteht aus fünf Teilen. Die Kinos der funktionalen Bode-Epoche fallen in den Teil mit dem Titel „Les salles de cinéma“, die auf die frühere schwülstige Epoche der „temples“ folgen. Danach kommen die „cinémas dans la cité“ und zuletzt die „espaces de transit“.

Der Gerechtigkeit halber muss man aber festhalten: Die Aufgabenstellung an die Studenten ist auch schwieriger als die, der sich Bode konfrontiert sah: er hatte nur ein funktionierendes Konzept zu vervollkommnen – daher konnte er sich mit den Details auseinandersetzen –, jene mussten ein als Anachronismus empfundenes Konzept neu beleben. Sie haben dabei Realitätssinn bewiesen und sich dadurch wenig von der heutigen Form entfernt: praktisch allen Entwürfen ist gemeinsam, dass sie über mehrere Säle verfügen, die durch ein möglichst interessant gestaltetes Foyer und eine attraktive (attrahierende) Außenfassade, Gastronomie und weitere Angebote möglichst viel Leben in sich aufnehmen sollen. Die Innovationen werden davon etwas an den Rand gedrängt und verkommen eher zu Spielereien, wenn auch willkommenen: die Auflösung der Bestuhlung oder Sitzordnung, die man an einigen Stellen angedeutet sieht; fließende Übergänge zwischen Kinosaal und anderen Räumen; die Negierung des überlieferten Gemeinschaftsgedankens durch ein Konzept, das keinen Saal mit mehr als neun Plätzen vorsieht und wo Filme nach Wunsch gespielt werden.

Ein Haus für den Film

Beide Ansätze folgen der Logik ihrer Zeit, und der eigentliche Reiz liegt in der Vermittlung zwischen ihnen: man bette den Film „in sein eigenes Haus“, das im Kern der Bodeschen Funktionalität für den bestmöglichen Filmgenuss folgt und sich an der Peripherie in sein soziales Umfeld öffnet. In jedem Fall kann die Architektur nur die Vorzüge eines gut geführten Kinos und guter Filme unterstreichen – ein abschließendes Beispiel, das den Zeitgeist der 50er aufgreift, aber auf heutige Geschmäcker abstrahierbar sein sollte:
„Alle diese Bemühungen, dem Film ein eigenes, seinem Wesen entsprechendes Haus zu schaffen, werden voraussichtlich den Wünschen eines anspruchsvollen Publikums entgegenkommen und damit dem Lichtspieltheater, das neuen Gedankengängen folgt, einen Stamm von Besuchern schaffen, wie ihn die Studios durch die Pflege des künstlerisch wertvollen Films heute schon aufweisen können. Eine Zweiteilung der Vorstellung - das Einlegen einer Pause, in der die Zuschauer den Vorführraum verlassen können – bedingt in der Raumplanung größere und festlich gestaltete Foyers mit Sitzgelegenheiten, Rauchzimmer, unter Umständen auch die Einrichtung eines Büffets. Wo solch ein Aufführungsstil gepflegt wird, ist zu erwarten, daß sich die Besucher auch in ihrer Kleidung diesem Niveau anpassen werden. Die Einrichtung von Stammplätzen, die dem Besucher stets das gleiche Raumerlebnis vermitteln, die Herausgabe einer Hauszeitschrift sind darüber hinaus geeignet, eine engere Bindung zwischen dem Theaterbesitzer und dem Publikum herzustellen, und dem Lichtspieltheater jene Atmosphäre zu geben, in welcher der Film und alle, die ihn erleben, wirklich ‚zu Hause‘ sind. Noch sind diese Möglichkeiten nicht voll erkannt und genutzt. Wohl aber kam der Filmtheaterbau selbst zu ersten Ausreifungen.“ (S. 23)
Von wann war das Buch gleich?