Mittwoch, 18. Juni 2008

Radieschenzähler

Drei Leute, über die wir viel schimpfen, weil sie immer versuchen, einem die Lust auf einen Film zu verderben oder irgendwelche Grabreden auf einen Ort verfassen, an dem sie sich jeden Vormittag aufhalten - ganz nach dem Motto: wer andern eine Grube schreibt, liegt selber drin - haben drei Leute, mit denen wir nicht so richtig viel anfangen können, die aber doch eine gewisse Ahnung vom Kino haben, über Kino und über die heutigen Filmstudenten reden lassen. Das ist soviel Text, dass wir uns die Kommentierung sparen können, weil Sie die hinterher eh nicht mehr lesen. Aber ganz lesenswert ist es schon.

Komm, wir click'n ins Kino

Klar schmeckt das Feierabendbier im Kino am besten. Aber nicht immer ist der richtige Film oder das aufregende neue Kinoerlebnis verfügbar. Dann kann man auch mal auf virtuelle Kinoreise gehen. WIr nehmen Sie mit.

Erste Station: Gravenbruch. Als ältestes Autokino Deutschlands rückt es, jetzt, zum 75jährigen Jubiläum der Erfindung des Autokinos, endlich mal wieder in den Fokus. Die Hessenschau bringt dazu ein nettes Video mit unfreiwilig komischen Schluß, so von wegen: Helden auch nach 75 Jahren (dabei ist der letzte Indy doch gerade mal 19 Jahre her). Übrigens, der Sprecher des Ausschnitts von 1985 ist ein naher Verwandter!

Wer mehr erfahren will: die Berliner Zeitung rekapituliert die Anfänge des Autokinos in den USA. Loge mit Motor, Loveseat auf Rädern, Knutschkugel mit Ausblick - das Image des dark room wird das Kino, besonders das Autokino nie mehr los. Dass es in Deutschland nicht erfolgreicher war und ist: komische Sache. Hier, wo das Auto nun wirklich einen hohen Stellenwert einnimmt, wo das Cocooning so groß angesagt ist und wo alles aus Amerika schon immer ein bisschen besser war... so ein Wohnzimmer auf Rädern ist doch eigentlich das Größte. Kinoleinwand und doch ganz privat, es gibt Hamburger und man kann den neiderfüllten Blick der Nachbarn ernten, wenn man am letzten Samstag wieder eine Spur gründlicher den Chrom poliert hat.

Nächster Halt: Quernheim. Weiß der Teufel, wo das ist, aber dafür ist so eine virtuelle Reise ja gut, man eiert nicht übers Land. Die FAZ nimmt uns dorthin mit und bestaunt das Phänomen Landkino, das so ungewöhnlich eigentlich doch gar nicht ist, man muss sich nur mal die Mühe machen, übers Land - aber das hatten wir ja schon. Der Betreiber Karl-Heinz Meier trägt den Spitznamen "Fuchs" scheinbar zu Recht: bis zu 1.000 Besucher die Woche bei 465 Einwohnern. So ein Ausreißer kann die schönste FFA-Statistik verderben. "Fuchs" informiert sich in der Zeitschrift "Filmwirtschaft" - Bildungslücke oder Zeitungsente? Wir kennen das Heft nicht, zu ergoogeln ist es auch nicht, aber das mag am Namen liegen. Im Deutschen Filmmuseum Frankfurt am Main, sicher eine der verlässlichsten Quellen für sowas, ist es auch nicht gelistet. Selbst wenn es diese Zeitschrift gibt - das Marketing ist bescheiden.

Und weiter. Das nächste Kino ist gleich ein guter Grund für ein schlechtes Gewissen. War mal so nah und man ist doch nicht dort gewesen. Das Lichtspielhaus & CineBar in Groß-Gerau kommt unserem Zukunftskonzept von Verzehrkino erschreckend nahe. Wieder eine Geschäftsidee gestorben, wieder eine Reise fällig. Die Möbel sind ein schwindelerregender Designmix aus allen Epochen zwischen der Kindheit unserer Eltern und unserer eigenen, mit dem Effekt, dass jeder Besucher sich jung fühlen muss. Wer in diesem Kinosaal sitzt, kann die Worte Ölkrise, New Economy, Tschernobyl, 9/11 und AIDS getrost vergessen - das kommt erst in ein paar Jahren. Hey, genau wegen sowas geh'n wir schließlich in Filmtheater. Hoffentlich kann man an der Kasse mit D-Mark zahlen. Und ein Capri-Wassereis für 50 Pfennig kaufen.

Wenn uns reut, nicht ins nahe Groß-Gerau gefahren zu sein, so haben wir jetzt die Chance, den selben Fehler nicht auch mit Köln zu begehen. Der Filmclub 813 sieht schwer aus, als könnte er eine neue Heimat werden. Leider sind 39 km Entfernung ein Ausschlusskriterium für "Puschenkino".

Für manche Leute gehört zu jeder Reise auch ein Gang über den Friedhof. Ein bekannter deutscher Filmkritiker hat mal in einer großen deutschen Tageszeitung einen Artikel zum Thema "Kinotod" geschrieben (nein, wie originell), der klingt, als wäre er zum ersten Mal in einem Multiplex gewesen oder aber, als habe er das Wesen des Multiplex noch nicht so ganz verstanden, und dass es schon noch andere Kinos gibt, wenn man diese nicht mag. Das war 2004 (selbst damals waren die Mutiplexe schon ganz gut eingeführt), ich habe den Artikel aber erst vor wenigen Tagen in meine Lesezeichen gelegt. Wie ich darauf gestoßen bin, ich weiß es nicht. Aber verlinken tue ich so einen Schmutz nicht. Basta.

Dienstag, 3. Juni 2008

Der Nogger-Schock

Wir nehmen uns reichlich Zeit, die Bonner Kinos nach und nach zu entdecken... sind ja nicht soo viele, da hält die Neugier länger an...

Jetzt also haben wir uns mal das Woki vorgenommen. Wofür das wohl stehen mag? Meine Mutmaßung wäre Wohlfühl-Kino, wenn ich die Einträge des sehr lesenswerten Gästebuchs studiere. Wir taten uns ein bißchen schwer mit dem Woki, aber es mag sich um eines der Kinos handeln, zu denen man einen besonderen Zugang braucht, um dort heimisch zu werden. Wir sind zwar generell im Kino zuhause, aber in ein paar Kinos, die jetzt alle etwas weiter weg sind, ganz besonders. Nicht zuletzt ist der Eindruck manchmal auch fälschlicherweise dem Film geschuldet, und der war ziemlich schlecht. Das Sequel wird wohl der erste Abenteuerfilm mit einem Helden am Rollator sein. Über um einen Satz aus dem Film über eine rsant zerbröselnde Mumie aufzugreifen: "Er war 400 Jahre konserviert, die Luft setzt seiner Haut zu." 19 Jahre reichen manchmal auch...

Erfreulich ist schon mal, dass der Saal sehr groß ist und viel von der mutmaßlichen Originalausstattung noch vorhanden ist. Besonders auffällig ist die gelb-goldene (? ...ließ sich bei dem Licht nun wirklich nicht sagen) Wandbespannung mit Leuchten in Kranichform. Noch ein paar blaue Sitze, und man fühltt sich wie bei der alten Lufthansa. Blaue Sitze gibt es auch, hinten im Saal, dann folgen ein paar Reihen numerierte rote Multiplex-Hochlehner, vorne dann wieder eher spartanische Holzstühle mit ebenfalls roter Polsterung. Da kann man sich durch die Jahrzenhte sitzen. Selbige haben wohl auch an den Stühlen der vorderen Reihen genagt. Manche Sitzflächen gaben bedenklich nach vorne unten nach, an mancher Stelle geriet gar die halbe Sitzreihe ins Schwummern, obwohl wir beide eher zierlich gebaut sind. MAD-Kino zum Selbermachen. Alte Schraublöcher im gestrichenen Boden gaben auch Aufschluss darüber, dass die übliche Reihenauflockerung hier auch schon geschehen ist.

Beeindruckend war die große, gebogene (!) Leinwand, der Ton war (abgesehen von der Lautstärke) nicht auf heutigem Großkino-Niveau, aber bei einem Film wie eine Achterbahnfahrt darf man da schon fast dankbar sein.

Ein echtes Erlebnis war dann die Eispause: Die Verkäuferin baute sich in der vordersten besetzten Reihe auf und spähte feldwebelhaft über die Reihen hinweg. Sie nahm sich einen Moment zuviel Zeit, bevor sie zu Ihrer Ansprache anhob, und so nutzten wir die Zeit, um uns schonmal nach der Verfügbarkeit von Wieder-da-Nogger-Choc zu erkundigen. Wer hätte es ahnen können - die Gute hatte eine effektvolle Kunstverzögerung eingelegt, um die Aufmerksamkeit des Publikums auf sich zu ziehen. In Saallautstärke teilte sie uns mit, ja, tatsächlich, sie verkaufe Eis, das hätte sie wohl auch jeden Moment kund getan, aber jetzt, da wir ihr zuvorkämen... Solchermaßen bloßgestellt versanken wir ein bißchen tiefer in den Sitz (so wie man es sonst nach Erlöschen des Lichts tut). Temptations habe sie nicht, aber Nogger choc, das habe sie, hier, noch jemand ein Eis, ich reagiere auf Zuruf... Weiteren Darbietungen fuhr zu unserem großen Bedauern das konsumunwillige Publikum in die Parade. "Keiner ein Eis? Is ja gut, ich hau ja schon ab."

Schträge Farbkombination, schräge Sitzmöbel, schräger (Umgangs-)Ton und eine Tendenz zur Überdimensioniertheit: da denken wir doch gleich an eins unserer Frankfurter Stammkinos, das unvergleichliche Filmtheater Valentin. Also vielleicht wird's ja noch was mit der Heimeligkeit. Alles eine Frage der Typfixierung.