Montag, 15. Juli 2013

Tod und Sterben in L.H.

Gerade erst freut man sich noch über diese seltenen Momente des Glücks, in denen man erfährt, dass ein Kino erÖFFNET hat: So geschehen vor wenigen Monaten in Frankfurt am Main. Und es ist sogar ein Luxuskino!

Oder über die überraschende Neuigkeit, dass ein Kleinstadtkino mit nur einem Saal es schafft, die Digitalisierung und damit sogar den 3D-Zauber vor die Tore der Großstadt zu bringen. Zartfühlenderweise hat man dort sogar den guten alten 35mm-Projektor als Ausstellungsobjekt belassen, um auch mit jenen Frieden zu schließen, die ob des analogen Abschieds ein bisschen weinen wollen.

Doch plötzlich: Da ist er wieder, der gute alte Hiob. Wie die Dreieich-Zeitung am Sonntag mitteilte, schließen Ende August die Langener Kinos. Für immer. Obwohl der Betreiber, wie zu lesen ist, in den vergangenen 17 Jahren die Besucherzahl im Jahresschnitt von 10.000 auf 70.000 erhöhen konnte! Und das mitnichten nur mit Mainstream-Filmen, wie sie sonst in den Großstadt-Anrainern zu finden sind, sondern auch mit ausgesuchten Arthouse- und Programmkino-Kunststückchen, zudem mit Motto-Parties (komme zum großen Gatsby in Jordan Baker-Pose und Du erhältst einen Cocktail gratis) und weiteren Attraktionen. Nichts Neues, nichts Ausgefallenes, aber etwas, das die Leute wohl begeisterte.

Und nun: das Aus. Natürlich ist es mal wieder: die Mischung aus schnödem Mammon und Technik. Die Umrüstung auf das Digitalformat steht an, Renovierungsmaßnahmen werden nötig... Immerhin: FFA und EU wollen knapp die Hälfte der benötigten 1,5 Millionen Euro beisteuern - was jedoch an die Bedingung geknüpft ist, den Nachweis zu erbringen, dass die Kinos noch mindestens zehn Jahre Bestand haben. Zehn Jahre? Nachweis? Liebe Kinobesitzer, ist so etwas überhaupt möglich???

Verschwende Deine Jugend

Jedenfalls kommt die unerwartete - und vielleicht dann auch wieder nicht ganz so überraschende - Antwort des Betreibers aus einer ganz anderen Richtung. Das Geld hätte aus der eigenen Tasche fließen müssen (können), "...und das konnte ich aus Verantwortung meiner Familie gegenüber nicht." Wir wissen aus eigener Anschauung: Kinomachen speist sich immer aus Herzblut, aus Leidenschaft, Seele und Selbstaufopferung. Der Kinomacher ist heute 45 Jahre alt. Die Kinos führt er seit 17 Jahren. Danken wir also einem Kinomenschen, der als junger Mann Mut bewiesen hat, der es geschafft hat, sich ein echtes Standing, auch den Verleihern gegenüber, aufzubauen, und der den Tod seiner Kinos nun mit einem zweiwöchigen Festival Festival - ja, was denn: betrauert? feiert?

Das Kino ist tot - es lebe das Kino!!

Mittwoch, 1. Mai 2013

Sag' mir wo die Rädchen sind...

...wo sind sie geblieben? Filmvorführung ist und bleibt für mich etwas zutiefst mechanisches. Nach dem heutigen Kinobesuch zeichnet sich für mich aber ein Bruch ab.

Selbst ein Staddteil-Kino wie die Neue Filmbühne in Bonn-Beuel führt mittlerweile digitale Filmkopien vor. Das kommt ein bisschen plötzlich für mich, nach den angestrengten Debatten über die Finanzierung des neuen Equipments, die in den letzten Jahren geführt wurden, hatte ich das nicht so plötzlich erwartet.

Die Bildqualität ist ganz ausgezeichnet, Filme lassen sich so vorzüglich genießen. Für meinen Geschmack ist das elektronisch projizierte Bild etwas steril im Dispositiv des Kinosaals, das ist wohl eine Frage der Gewohnheit. Aber wie seltsam ist es doch, in einem Kinosaal zu sitzen, der über einen Holzfußboden

-- an dieser Stelle ein kurzer gedanklicher Einschub: Kinos mit Holzfußböden gibt es nun wahrlich nicht (mehr) viele, spontan fällt mir nur Marias Kino in Bad Endorf ein, und wenn ich mich recht entsinne, die Kur-Lichtspiele in Hennef --

der also über einen Holzfußboden verfügt, und in dem ein ausrangierter 35mm-Projektor als Dekoration dient, und eine digitale Projektion zu sehen?

Gleichzeitig verzichtet man bei der Projektion nun auf den Leinwand-Kasch, denn die Ränder des Bildes sind ja eh so klar abgegrenzt (es gibt Menschen, die das auch über die Masken ihrer Filmprojektoren behauptet haben, aber das führt nun zu weit ins Anekdotische).

Und dann ist es noch der neue Film von Giuseppe Tornatore, der einst mit Cinema Paradiso dem Filmtheater ein Denkmal gesetzt hat, und der in diesem Film The Best Offer an einigen Stellen der Mechanik huldigt - wobei man den Eindruck hat, er würde Hugo Cabret ein wenig recyceln.

Der Kontrast ist für mich umso stärker, da ich just diese Woche wieder einen (besonders) alten 16mm-Filmprojektor vor mir hatte, und versuchte, ihm ein paar lebende Bilder zu entlocken. Daran trotz Verständnisses der Mechanik und einer rudimentären Übung zu scheitern, führte mir einmal mehr vor Augen, warum es einmal "Projektionskunst" hieß. (Ich rede mir natürlich gerne ein, dass das Mitte der 1980er Jahre zuletzt gewartete und vermutlich fast ebenso lange nicht betriebene Gerät vielleicht doch die eine oder andere mechanische Unzulänglichkeit aufwies, so dass wir die Schuld an der Beschädigung der Testkopie unter uns teilen dürfen.)

Nun muss ich erstmal grübeln - ist das der Lauf der Dinge oder einfach fauler Budenzauber wie beim "Original Kaiserzeit-Kinematograph"

Montag, 25. Februar 2013

Möchten Sie ablegen?

Wie lange haben wir darauf gewartet: die Garderobe ist zurück im Kino. Streng genommen schon länger, aber jetzt sind wir auch in Frankfurt endlich in den Genuss einer "Astor Filmlounge" gekommen und konnten auf die Suche nach dem Gefühl gehen, das Kino vor 60 Jahren vielleicht einmal war.

Das Konzept ist gelungen: das Kino liegt im Herz der Stadt, mitten an der Fußgängerzone, statt eines popcorndurchwehten Foyers gibt es eine schön gestaltete Lounge mit Bar, und der Saal verströmt Großzügigkeit.

Der Besuch läuft so ab:

Zunächst passiert man den "Doorman". Der trägt zwar Livree und Handschuhe, ganz wie man sich das vorstellt, aber anders als in der Phantasie vom Kino als Fünfsternehotel hält er einem nicht mit vornehmer Geste die Tür auf, sondern entpuppt sich als aus einem Verschlag nickender Grüßonkel, dem man wünschen würde, ein animatronic zu sein, und der sich das selbst wahrscheinlich auch wünscht. Die wundervolle Geste daran: so viel Verschwendung haben wir lange nicht gesehen.

Ein Aufzug enthebt einen über die Dächer des niedriger gebauten Teils der Stadt und durch eine etwas glücklos gelöste Eingangssituation gelangt man in den Loungebereich mit Kasse, Garderobe und Bar. Freundlichkeit des Personals, Publikum und Atmosphäre entsprechen nun nicht gerade dem Maître, der den Herrn im Cut zu seinem Tisch geleitet, heben sich aber doch wohltuend von der Kino-Gewohnheit ab. Uns war es nur zu laut und zu voll für eine ganz gelungene Atmosphäre.

Die Garderobe ist gerade im Winter eine nicht zu überbietende Genialität und im Preis inbegriffen, ebenso wie ein Begrüßungsdrink, der in unserem Fall (aus verlässlicher Quelle hört man, es soll auch anderes vorkommen) zwar optisch ansprechend, in der Degustation aber ein eher anspruchsloses Gemüt verlangte.

Die Freude eines Platzanweisers wurde uns nicht zuteil, doch der Eintritt in den früheren IMAX-Saal macht einen auch ohnedies staunen. Die Verwandlung ist vollkommen und der Retro-Look gelungen, ohne übertrieben geraten zu sein. Die wippenden Sitzmöbel, Lämpchen und Tische bereiten Vergnügen, ebenso die Speisen- und Getränkekarte. Die Gerichte sehen ansprechend aus (probiert haben wir sie nicht) und sind preislich angesichts der logistisch ungünstigen Situation durchaus angemessen. Das kann man auch über die Cocktail- und Weinpreise sagen. Wer die hochpreisigen Francis-Ford-Coppola-Weine für einen Gag hält: wir haben aus Daffke mal einen solchen in einem der besten Steakhäuser San Franciscos getrunken und waren ausgesprochen angetan. Und wir nehmen für uns in Anspruch, das beurteilen zu können. Gleiches gilt für höherprozentige Mischgetränke, und die dargereichte Variation eines Long Island Ice Tea ohne Cola, dafür mit Tee-Essenz, war eine erfreuliche Abwechslung. Ein Vorschlag: auf der Karte fehlt ein Vodka Martini. Der macht sich immer gut, besonders in der Umgebung schwerer Vorhänge und der Erinnerung an die Filmgeschichte.

Die zahlreichen Servicekräfte, die sich treppauf und treppab und durch nicht zu eng bemessene Sitzreihen bewegen, sind zweifellos das stärkste Argument für die höheren Preise, und man darf hoffen, dass es sich nicht um "Einführungspreise" handelt. Die Zahl der dienstbaren Geister legt die Befürchtung durchaus nahe.

Die Lichtshow vor Filmbeginn gehört wieder zu jenen Details, bei denen man das Gefühl hat, dass ein gut gedachtes Konzept nicht bis zu Ende ausgeführt wurde. Wir jedenfalls fühlten uns durch das LED-Farbspiel und die meditative Musik eher in eine Erlebnis-Sauna versetzt. Licht und Ton der eigentlichen Vorstellung waren dafür über jeden Zweifel erhaben. Und wie schön, wenn man zwischendurch mal raus muss und nicht durch drei Popcorneinmer trampelt, eine Cola verschüttet, drei Schmerzensschreie verursacht und einer Person um den Hals fällt, die man sich nicht dafür gewünscht hätte.

Unser Gefühl, dass die Auswahl passender Filme für dieses Ambiente nicht so einfach sein dürfte, bleibt bestehen. Aber wir können uns eine Kategorie von Werken vorstellen, für die wir dieses Filmtheater (diese Bezeichnung erscheint einmal wieder passend) anderen Abspielstätten ohne Zögern vorziehen würden. Auch der Gedanke an Live-Opernübertragungen scheint zum erstenmal nicht mehr so abwegig wie bisher. Wenn auch die dafür aufgerufenen Preise das reflexartige Entfleuchen einer einzelnen Augenbraue verursachen können.

Alles in allem hat man den Eindruck, dass die nicht mehr ganz junge und schon immer etwas halbseidene Dame Kino sich der besten ihr zur Verfügung stehenden Manieren befleißigt und tüchtig Puder aufgetragen hat. Das macht noch keine Grand Dame, aber auf jeden Fall jemanden, dem wir unseren Mantel wieder anvertrauen würden.

Freitag, 30. November 2012

We love Lagerfeuer

Gerade auf  Facebook die Frage diskutiert, ob eine digitale Projektion mit 48 fps Sinn macht. Weil dort kaum Platz für echte Diskussionen und Argumentationen ist, dachte ich mir: guter Anlass, diesen Blog mal wieder rauszukramen.

Also.

Zunächst mal fand ich erfreulich herauszufinden, dass die 4K-Aufzeichnung nicht völlig für die Katz ist, weil es mittlerweile eine einigermaßen nennenswerte Menge an Kinos mit 4K-Projektoren in Deutschland gibt. Schade bloß, dass wegen des 3D-Gedöns und der 48 fps laut t3n dann wieder nur 2K beim Zuschauer ankommen.

Generell stimme ich dem Artikel von Moritz Stückler aber zu. Prinzipiell hat schon der gute alte 35mm-Film mit 24 "echten" Bildern pro Sekunde und einer entsprechenden Anzahl von Blendenumläufen 48 fps simuliert und ein überzeugend flüssiges Bewegungsbild produziert. Der Wegfall des dadurch entstehenden Flackerns gehört zweifellos zu den positiven Errungenschaften des digitalen Kinos. Für mich persönlich war das gewöhnungsbedürftig, ich war ans Flackern gewöhnt. Der Lagerfeuereffekt setzt die Mammuts an der Wand einfach gelungen in Szene.

Diese Konditionierung ist auch für den bei den 48fps-Testvorführungen beobachteten Effekt verantwortlich, der Projektionen mit besonders hoher Framerate irgendwie billig aussehen lässt. Den Effekt kenne viele auch von Flachbildfernsehern in Werkskonfiguration, bei denen irgendein "toller" Motion-irgendwas-Filter läuft. Plötzlich sieht jeder Spielfilm aus wie eine Reality-Dokusoap. Ich krieg bei dem Anblick auch die Krise und fange umgehend an, mich durch die Konfigurationsmenüs von den Kisten zu wühlen. Der "Reality"-Effekt killt mir die Glaubwürdigkeit von Spielfilmen, das ist so eine paradoxe Wahrnehmungssache. Merke: hui für Länderspiel, pfui für Spielfilm.

Ich für meinen Teil möchte den Motion Blur gerne behalten. Auch wenn die frivolen Details mancher durchs Bild huschenden (Halb)Nackten dadurch auf ewig verwischt bleiben. Aber das ist eh so eine Sache für die Mammut-Männer.

Mittwoch, 21. September 2011

Mittwoch, 8. Juni 2011

His Master's Voice

Die menschliche Stimme ist ein Faszinosum. Sie umfasst ein erstaunliches Spektrum an Höhen und Tiefen, an Klangfarben und - an Lautstärken. Sie kann rauh klingen wie bei George C. Scott, sie kann schmeicheln wie bei Alain Delon, sie kann schnarren wie bei Gustav Gründgens oder brummen wie bei Jean Gabin. Die menschliche Stimme vermag Säle zu füllen und singende Sägen zu imitieren. Und in einigen wenigen Momenten vermag die menschliche Stimme den Zauber des Augenblicks sogar noch durch etwas ganz Besonderes auszumachen: Durch das Flüstern. Möglichkeiten zum Flüstern gibt es im Bett vor dem Einschlafen, in der Bahn vor dem Kichern, auf der Bühne vor dem großen Abgang. Nur an einem Ort scheint das Flüstern gestorben zu sein: im Kino.


Und dennoch, gewährt mir die Bitte: Liebes Kinopublikum, liebe Mitzuschauer:
Wenn Ihr
das Offensichtliche kommentieren müsst,
das Verborgene offenbaren,
wenn Ihr Erinnerungen teilen mögt,
oder die Szene schon kennt, bitte


F L Ü S T E R T ! ! !

Dienstag, 9. November 2010

Feucht, aber nicht fröhlich

Wenn ich mal drüber nachdenke -- viele Filme sind bewegend, aber was einen zum Weinen bringt , ist eigentlich immer die Musik.

Sonntag, 25. Juli 2010

Cinema Jenin

Wir möchten Ihnen heute Cinema Jenin vorstellen.

Die Stadt Jenin ist auf dem Weg, eine gewisse Normalität wieder zu erlangen, nachdem blutige Kämpfe und Blockaden Isolation und den Ausnahmezustand bedingten und ein unbeschwertes Leben unmöglich machten. Mit dem Wiederaufbau des Kinos in Jenin soll ein Ort für eine positive Freizeitgestaltung entstehen, für Frauen, für kulturellen und interkulturellen Diskurs und für Begegnungen über alle Grenzen hinweg.

Teil des Projekts sind ein Open-Air Kino mit 500 Sitzen, ein 3D-Kino mit 350 Sitzen, ein Café, Produktionsräume, eine Medienbibliothek, ein Gästehaus und die Keimzelle einer kleinen Filmschule, sowie Untertitel- und Synchronstudio.

Die Renovierungsarbeiten an den Kernbereichen werden im Juli abgeschlossen sein und das Projekt wird mit einem kleinen Festival am 5. August 2010 eröffnet.

Mehr unter www.cinemajenin.org

Samstag, 24. Juli 2010

Der "Bode" der Tatsachen

Vor kurzem habe ich mir einen lang gehegten Wunsch erfüllt und mir „den Bode“ gekauft. „Der Bode“ bezeichnet das 1957 erschienene Buch Kinos – Filmtheater und Filmvorführräume des Architekten Paul Bode (Callwey, München). Es handelt sich um eines der umfangreichsten Werke zur Kinoarchitektur, und es ist selten und teuer. 120 bis 150 Euro kann man dafür investieren, es sei denn, man hat Glück und erwischt wie ich ein gutes Exemplar im Ausland. Meines stand für 60$ in einem Buchladen am Broadway und hat mich dank Internetbestellung relativ bequem erreicht. Relativ heißt, dass ich es beim 12 km entfernten Zollamt unter Erduldung nicht unerheblicher Wartezeit abholen musste. Immerhin hat sich die Androhung diverser Gebühren nicht bewahrheitet.

Was den Bode auszeichnet, ist seine ungeheure Genauigkeit und Detailtiefe. Es handelt sich nicht um ein Buch für denjenigen, der großformatige Farbfotos von Kinofassaden und Zuschauerräumen bestaunen möchte (die sind beim „Lacloche“ besser aufgehoben), sondern um eine Handreichung für Kinobetreiber und -erbauer, die von der Standortwahl über die Gestaltung der Verkehrswege im Haus, die Außenwerbung bishin zu technischen Fragestellungen nahezu jeden Aspekt beleuchtet, teils bis ins Detail der Konstruktionszeichnung.

Vergleicht man den Bode mit einem neueren Werk zur Kinoarchitektur wie „Weiße Wände“, das die Bauhaus-Uni und die AG Kino anlässlich eines studentischen Entwurfsprojekts zur Filmkunstmesse 2008 herausgegeben haben, wird eines augenfällig: Bode hat das Filmtheater am Zenit der Zuschauerzahlen 1957 (damals zählte man über 800 Millionen Kinobesucher im Jahr, heute erreicht man nicht ein Viertel davon) aus einer völlig anderen Richtung gedacht als die, die sich heute den Kopf darüber zerbrechen.

Kino gut, alles gut

Paul Bode beschäftigt sich nicht mit Visionen, sondern mit Fakten. Das Kino ist Leitmedium, es stellt sich weniger die Frage, wie man den Zuschauer hineinbekommt, sondern eher, wie die Kapazität zu bemessen sei und wie man es bestmöglich gestalte. Zwar ist ihm bewusst, dass sich das gerade aufkommende Fernsehen zur ernstzunehmenden Konkurrenz entwickeln könnte, als bedrohlich nimmt er es aber noch nicht wahr:
„Je mehr das Fernsehen im häuslichen Kreise an Boden gewinnt, umso mehr wird sich das Lichtspieltheater bemühen müssen, durch die Vervollkommnung seiner Vorstellungen den Besuchern mehr zu bieten, als das Fernsehen es vermag. Es kann mehr bieten, weil dem Fernsehen die illusionsfördernden technischen und räumlichen Faktoren des Filmtheaters fehlen, ebenso die (zumindest angestrebte) gesellschaftliche Plattform, auf welcher der Film zu einem Gemeinschaftserlebnis wird. Wie wichtig diese Erkenntnis ist, zeigt die Entwicklung in den USA, wo die Einbuße, welche die Filmtheaterwirtschaft infolge des Fernsehens erlitt, nicht zuletzt auf den mangelhaften Zustand der meisten Kinos zurückzuführen ist.“ (S. 22)
Bode behält bis heute recht damit, leider nur teilt die Majorität der Bevölkerung diese Ansicht nicht oder handelt zumindest nicht danach.

Bodes Denkrichtung geht von innen nach außen:
„Mittelpunkt eines solchen idealen Hauses ist der Zuschauerraum. Seine ideale Form ergibt sich wiederum aus seiner Funktion, die größtmögliche Zahl von Sitzplätzen vor einer Bildwand maximaler Größe so anzuordnen, daß eine gute Sicht und Hörsamkeit von allen Plätzen gewährleistet ist. Um den Zuschauerraum herum sind die anderen Räume gemäß ihrem Verwendungszweck zu gruppieren.“ (S. 23)
Dementsprechend gibt es im Bode nur einen kleinen Fototeil, der Rest der zahlreichen Illustrationen besteht aus schematischen Zeichnungen und Plänen. Er beschäftigt sich kaum mit der Fassadengestaltung, dafür aber mit exakten Daten zur idealen Reihenüberhöhung, Blickachsen und Leinwandabständen.

Verschiebung der Aufmerksamkeit

Diese Funktionsorientierung passt gut zur Idee des Bauhaus. Diejenigen, die unter diesem Label ihre Entwürfe in „Weiße Wand“ veröffentlichen, verfolgen aber eher einen ornamentalen Ansatz. Sie entwickeln ihre Filmtheater nicht aus der Perspektive des Inhalts – des Films, seiner Projektion und Rezeption –, sondern aus der Perspektive der Gesellschaft und des Städtebaus. Die Illustrationen zeigen zum großen Teil aufwendige Fassaden, die die „Funktion“ des Gebäudes in die Stadt hinaus strahlen sollen, in dem sie mit der Form des Filmstreifens arbeiten oder die Projektion auf die Straße verlängern. Ihr zentraler Raum ist aber zumeist das Foyer, um das sich dann Kinosäle, Bars, Gastronomie und weiteres gruppieren. Sie denken von außen nach innen.

Dementsprechend ähneln die Kinosäle oft dem, was der Filmrestaurator Nicola Mazzanti „volumetrische Scherze“ nennt. Die meist nur sehr grob angedeutete Anordnung der Zuschauer zur Leinwand erscheint in vielen Entwürfen schon auf den ersten Blick widersinnig, ebenso wie manche Saalformen und –formate. Die Bildfläche befindet sich in den extremsten Fällen an der Decke oder am Boden, die Zuschauer liegen oder stehen in Einzelfällen – das taugt nur als Attraktion, als Kuriosität.

Bei Lacloche findet man diesen Übergang ebenfalls. Sein Buch besteht aus fünf Teilen. Die Kinos der funktionalen Bode-Epoche fallen in den Teil mit dem Titel „Les salles de cinéma“, die auf die frühere schwülstige Epoche der „temples“ folgen. Danach kommen die „cinémas dans la cité“ und zuletzt die „espaces de transit“.

Der Gerechtigkeit halber muss man aber festhalten: Die Aufgabenstellung an die Studenten ist auch schwieriger als die, der sich Bode konfrontiert sah: er hatte nur ein funktionierendes Konzept zu vervollkommnen – daher konnte er sich mit den Details auseinandersetzen –, jene mussten ein als Anachronismus empfundenes Konzept neu beleben. Sie haben dabei Realitätssinn bewiesen und sich dadurch wenig von der heutigen Form entfernt: praktisch allen Entwürfen ist gemeinsam, dass sie über mehrere Säle verfügen, die durch ein möglichst interessant gestaltetes Foyer und eine attraktive (attrahierende) Außenfassade, Gastronomie und weitere Angebote möglichst viel Leben in sich aufnehmen sollen. Die Innovationen werden davon etwas an den Rand gedrängt und verkommen eher zu Spielereien, wenn auch willkommenen: die Auflösung der Bestuhlung oder Sitzordnung, die man an einigen Stellen angedeutet sieht; fließende Übergänge zwischen Kinosaal und anderen Räumen; die Negierung des überlieferten Gemeinschaftsgedankens durch ein Konzept, das keinen Saal mit mehr als neun Plätzen vorsieht und wo Filme nach Wunsch gespielt werden.

Ein Haus für den Film

Beide Ansätze folgen der Logik ihrer Zeit, und der eigentliche Reiz liegt in der Vermittlung zwischen ihnen: man bette den Film „in sein eigenes Haus“, das im Kern der Bodeschen Funktionalität für den bestmöglichen Filmgenuss folgt und sich an der Peripherie in sein soziales Umfeld öffnet. In jedem Fall kann die Architektur nur die Vorzüge eines gut geführten Kinos und guter Filme unterstreichen – ein abschließendes Beispiel, das den Zeitgeist der 50er aufgreift, aber auf heutige Geschmäcker abstrahierbar sein sollte:
„Alle diese Bemühungen, dem Film ein eigenes, seinem Wesen entsprechendes Haus zu schaffen, werden voraussichtlich den Wünschen eines anspruchsvollen Publikums entgegenkommen und damit dem Lichtspieltheater, das neuen Gedankengängen folgt, einen Stamm von Besuchern schaffen, wie ihn die Studios durch die Pflege des künstlerisch wertvollen Films heute schon aufweisen können. Eine Zweiteilung der Vorstellung - das Einlegen einer Pause, in der die Zuschauer den Vorführraum verlassen können – bedingt in der Raumplanung größere und festlich gestaltete Foyers mit Sitzgelegenheiten, Rauchzimmer, unter Umständen auch die Einrichtung eines Büffets. Wo solch ein Aufführungsstil gepflegt wird, ist zu erwarten, daß sich die Besucher auch in ihrer Kleidung diesem Niveau anpassen werden. Die Einrichtung von Stammplätzen, die dem Besucher stets das gleiche Raumerlebnis vermitteln, die Herausgabe einer Hauszeitschrift sind darüber hinaus geeignet, eine engere Bindung zwischen dem Theaterbesitzer und dem Publikum herzustellen, und dem Lichtspieltheater jene Atmosphäre zu geben, in welcher der Film und alle, die ihn erleben, wirklich ‚zu Hause‘ sind. Noch sind diese Möglichkeiten nicht voll erkannt und genutzt. Wohl aber kam der Filmtheaterbau selbst zu ersten Ausreifungen.“ (S. 23)
Von wann war das Buch gleich?

Sonntag, 30. Mai 2010

Im Hyperraum

Ich habe mir tatsächlich vor zwei Wochen doch noch Avatar im Kino angesehen - erstaunlich nicht nur, dass der Film immer noch läuft, sondern dass er auch gut besucht war. Ich wurde angenehm überrascht. Avatar ist zwar weder intelligent, noch epochal, noch stilbildend, aber ich wurde zweieinhalb Stunden lang gut unterhalten und habe den Kinobesuch nicht bedauert. Das ist weit mehr, als ich zu hoffen gewagt hätte und als ich üblicherweise über große, bunte Hollywoodfilme sagen darf. (Am Rande: der Trailer war ja auch etwas irreführend und versprach ein fortwährendes Schlachtengetümmel, das der Film glücklicherweise nur im vertretbaren Maß einlöste)

Diese 3D-Sache - nun ja. In Avatar wird ja nach meinem Empfinden mit dem Effekt sehr sparsam umgegangen. An manchen Stellen hinterlässt das eine gewissen Enttäuschung, weil man sich das etwas spektakulärer vorgestellt hätte, aber dafür hatte ich den Eindruck, dass sich der Effekt auch weniger schnell verbraucht als das sonst der Fall ist. Alles in allem ist 3D etwas, worauf ich im Kino auch verzichten könnte, und nach einigen Filmen dieser Art möchte ich fast sagen, in dem meisten Fällen hätte es auch 2D getan.

Bestärkt hat den Eindruck ein kleines Experiment: ich habe mir Avatar in Full HD auf Blu-Ray zu Hause angesehen. Die Full-HD-Auflösung hinterlässt bei mir auch nach Monaten mit einem solchen Fernseher immer noch ein Staunen, den aus dem Kino bekannten 3D-Effekt habe ich dagegen keine Minute vermisst.

In beiden Punkten scheine ich aber etwas anachronistische Sehgewohnheiten zu haben: die Schärfe und Anmutung des digitalen Bildes hinterlassen bei mir immer noch einen Beigeschmack von Hyperrealität - das lebendige Filmkorn oder eine normale DVD-Auflösung machen da oft einen "wirklicheren" Eindruck auf mich. Ähnlich verhält es sich bei 3D, man fällt über dem Staunen über einen guten Effekt schon mal aus der Handlung und wird sich der Schausituation (Gruß an den Elfenbeinturm: des Dispositivs) bewusst. Was zwischendurch mal ein ganz brauchbares Aha-Erlebnis ist. Dem untrainierten Kinobesucher geht bei diesem Blick in den Hyperraum hoffentlich ein Licht auf. Und lasst die Finger von 3D-Fernsehern, das ist Unfug.