Wie lange haben wir darauf gewartet: die Garderobe ist zurück im Kino. Streng genommen schon länger, aber jetzt sind wir auch in Frankfurt endlich in den Genuss einer "Astor Filmlounge" gekommen und konnten auf die Suche nach dem Gefühl gehen, das Kino vor 60 Jahren vielleicht einmal war.
Das Konzept ist gelungen: das Kino liegt im Herz der Stadt, mitten an der Fußgängerzone, statt eines popcorndurchwehten Foyers gibt es eine schön gestaltete Lounge mit Bar, und der Saal verströmt Großzügigkeit.
Der Besuch läuft so ab:
Zunächst passiert man den "Doorman". Der trägt zwar Livree und Handschuhe, ganz wie man sich das vorstellt, aber anders als in der Phantasie vom Kino als Fünfsternehotel hält er einem nicht mit vornehmer Geste die Tür auf, sondern entpuppt sich als aus einem Verschlag nickender Grüßonkel, dem man wünschen würde, ein animatronic zu sein, und der sich das selbst wahrscheinlich auch wünscht. Die wundervolle Geste daran: so viel Verschwendung haben wir lange nicht gesehen.
Ein Aufzug enthebt einen über die Dächer des niedriger gebauten Teils der Stadt und durch eine etwas glücklos gelöste Eingangssituation gelangt man in den Loungebereich mit Kasse, Garderobe und Bar. Freundlichkeit des Personals, Publikum und Atmosphäre entsprechen nun nicht gerade dem Maître, der den Herrn im Cut zu seinem Tisch geleitet, heben sich aber doch wohltuend von der Kino-Gewohnheit ab. Uns war es nur zu laut und zu voll für eine ganz gelungene Atmosphäre.
Die Garderobe ist gerade im Winter eine nicht zu überbietende Genialität und im Preis inbegriffen, ebenso wie ein Begrüßungsdrink, der in unserem Fall (aus verlässlicher Quelle hört man, es soll auch anderes vorkommen) zwar optisch ansprechend, in der Degustation aber ein eher anspruchsloses Gemüt verlangte.
Die Freude eines Platzanweisers wurde uns nicht zuteil, doch der Eintritt in den früheren IMAX-Saal macht einen auch ohnedies staunen. Die Verwandlung ist vollkommen und der Retro-Look gelungen, ohne übertrieben geraten zu sein. Die wippenden Sitzmöbel, Lämpchen und Tische bereiten Vergnügen, ebenso die Speisen- und Getränkekarte. Die Gerichte sehen ansprechend aus (probiert haben wir sie nicht) und sind preislich angesichts der logistisch ungünstigen Situation durchaus angemessen. Das kann man auch über die Cocktail- und Weinpreise sagen. Wer die hochpreisigen Francis-Ford-Coppola-Weine für einen Gag hält: wir haben aus Daffke mal einen solchen in einem der besten Steakhäuser San Franciscos getrunken und waren ausgesprochen angetan. Und wir nehmen für uns in Anspruch, das beurteilen zu können. Gleiches gilt für höherprozentige Mischgetränke, und die dargereichte Variation eines Long Island Ice Tea ohne Cola, dafür mit Tee-Essenz, war eine erfreuliche Abwechslung. Ein Vorschlag: auf der Karte fehlt ein Vodka Martini. Der macht sich immer gut, besonders in der Umgebung schwerer Vorhänge und der Erinnerung an die Filmgeschichte.
Die zahlreichen Servicekräfte, die sich treppauf und treppab und durch nicht zu eng bemessene Sitzreihen bewegen, sind zweifellos das stärkste Argument für die höheren Preise, und man darf hoffen, dass es sich nicht um "Einführungspreise" handelt. Die Zahl der dienstbaren Geister legt die Befürchtung durchaus nahe.
Die Lichtshow vor Filmbeginn gehört wieder zu jenen Details, bei denen man das Gefühl hat, dass ein gut gedachtes Konzept nicht bis zu Ende ausgeführt wurde. Wir jedenfalls fühlten uns durch das LED-Farbspiel und die meditative Musik eher in eine Erlebnis-Sauna versetzt. Licht und Ton der eigentlichen Vorstellung waren dafür über jeden Zweifel erhaben. Und wie schön, wenn man zwischendurch mal raus muss und nicht durch drei Popcorneinmer trampelt, eine Cola verschüttet, drei Schmerzensschreie verursacht und einer Person um den Hals fällt, die man sich nicht dafür gewünscht hätte.
Unser Gefühl, dass die Auswahl passender Filme für dieses Ambiente nicht so einfach sein dürfte, bleibt bestehen. Aber wir können uns eine Kategorie von Werken vorstellen, für die wir dieses Filmtheater (diese Bezeichnung erscheint einmal wieder passend) anderen Abspielstätten ohne Zögern vorziehen würden. Auch der Gedanke an Live-Opernübertragungen scheint zum erstenmal nicht mehr so abwegig wie bisher. Wenn auch die dafür aufgerufenen Preise das reflexartige Entfleuchen einer einzelnen Augenbraue verursachen können.
Alles in allem hat man den Eindruck, dass die nicht mehr ganz junge und schon immer etwas halbseidene Dame Kino sich der besten ihr zur Verfügung stehenden Manieren befleißigt und tüchtig Puder aufgetragen hat. Das macht noch keine Grand Dame, aber auf jeden Fall jemanden, dem wir unseren Mantel wieder anvertrauen würden.