Mittwoch, 24. Dezember 2008

Kommt zu Papa

Hans Joachim Flebbe führt in Zukunft die Hochhaus-Lichtspiele in Hannover. Wer meint, dass er das bisher auch schon getan hat, hat nicht aufgepasst oder dem fehlt der Sinn für Feinheiten. Denn die Hochhaus-Lichtspiele waren bisher Teil von Cinemaxx. Nur Flebbe, der ist seit kurzer Zeit nicht mehr Teil von Cinemaxx. Die Zeiten, in denen sich die Großkino-Welt in "Flebbe", "Kieft", "Theile" und "den Rest" aufteilte, sind vorbei, weitgehend gesichtslose Konzerne haben zumindest bei den zwei größten Ketten übernommen. Die mit ihren Namen synonym stehenden Gründer spielen nicht mehr mit.

Kieft & Kieft
Die Lichtspiele Hoffnung in Lübeck, 1948 von Ernst Blunck, Albert Kieft und Otto Schwarzloh in den Räumen einer früheren Gaststätte eröffnet, wurden 1958 Gilde-Mitglied. Petra Schaper schreibt dazu:
„Schon früh wurde bei der Gestaltung des Spielplanes der künstlerische und anspruchsvolle Film mit einbezogen, der in den 50er und der ersten Hälfte der 60er Jahre hauptsächlich aus Frankreich, Italien und Skandinavien kam [...]. Damit konnte eine Publikumsschicht gewonnen werden, die im Kino mehr sucht als die gängige und eher seichte Unterhaltung. Im Verlauf der Jahre entwickelte sich ein Stammpublikum, das der Hoffnung auch in den Zeiten der Kinokrise erhalten blieb. [...] Wenn auch die Hoffnung nicht nur ‚anspruchsvolle Filmkunst’ zeigt(e) – ein gewerbliches Kino muß immer auch zu einem gewissen Grad den ‚gängigen Publikumsgeschmack’ berücksichtigen [...]“
(SCHAPER, Petra: Kinos in Lübeck: die Geschichte der Lübecker Lichtspieltheater und ihrer unmittelbaren Vorläufer 1896 bis heute. Lübeck (Graph. Werkstätten) 1987)
Im Zuge der Konzentrationsprozesse übernahm Albert Kieft immer mehr Lübecker Kinos. 1975 stieg Marlies Kieft, 1979 Heiner Kieft in das Unternehmen ein. Damals auch noch im Programmkinobereich tätig, zählte die Unternehmensgruppe 2005 um die 570 Leinwände und ist damit Marktführer in Deutschland. Der Name Kieft & Kieft ist inzwischen Vergangenheit. 1998 übernimmt die australische Kino-Kette Greater Union zunächst 50%, 2004 dann 100% der Firma. 2003 übernahmen Kieft & Kieft 30 Ufa-Traditionshäuser, an denen Greater Union nur zur Hälfte beteiligt ist. Die Lichtspiele Hoffnung wurden 2005 durch einen von einer defekten Popcorn-Maschine verursachten Brand beschädigt. Das Gebäude wurde entkernt und sollte "künftig mit einem neuen Konzept für Veranstaltungen (Filmevents, Partys) genutzt werden" wie damals in der Fachpresse zu lesen war.

Flebbe
Noch unterhaltsamer ist die Geschichte des großen Konkurrenten der Kiefts, die man sich mühsam aus alten Filmzeitschriften und Erzählungen zusammenklauben kann. Der spätere Cinemaxx-Chef "Achim" Flebbe stellte sich 1973 im Apollo-Kino Hannover vor und schlug dem damaligen Betreiber ein neues Programmkonzept vor, an dessen Gestaltung er sich beteiligen wollte. Das Konzept ging auf, 1977 hat Flebbe bereits drei Programm- und Studentenkinos in Hannover und expandiert in den nächsten Jahren innerhalb und außerhalb der Stadtgrenzen (vgl.
NECKERMANN, Gerhard: „Multiplexe verändern Kinomarktstruktur“, in: Media Perspektiven 9/1994, S.459ff.). Neun Jahre später berichtet Matthias Hennies aus Hannover:
„Das Apollo gibt es immer noch – aber jetzt ist es nur noch eine Neben-Spielstelle, denn Inhaber Hans-Joachim Flebbe hat inzwischen eine ‚Kino-Straße’ in der City eröffnet. [...] Denn unter den Programmkinos [...] hat die Monopolisierung eingesetzt: [...] Neben Flebbe in Norddeutschland werden Heinz Holzapfel im Westen des Landes und der Berliner Georg Kloster [...] genannt.“
(HENNIES, Matthias: Ende der Kinokultur? Das Kino im Wandel: Der Weg vom Filmtheater zur Abspielstelle. Beiheft zur FILM-Korrespondenz Jg. 32, Nr. 11 vom 27. Mai 1986)
Zu dieser Zeit reichte Flebbes Einfluss aber schon weit über Hannover hinaus:
„1981/82 fielen die Lupen in die Hände eines Imperiums, das – ähnlich wie zu Kirchners Zeiten – nicht nur von München bis Hamburg mit Kinos dealte, sondern über Verschachtelungen und Beteiligungen auch ins Verleihgeschäft verstrickt war. Als Käufer traten die Concorde Filmtheaterbetriebe auf, die von Achim Flebbe aus Hannover geführt werden. Während Herr Flebbe nebenbei noch dem Impuls Filmverleih vorsteht, sind die Concorde-Betriebe mit dem Concorde Filmverleih liiert. Dessen Handlungsbevollmächtigter ist François Duplat, der zugleich die Kinoketten und Verleihgeschäfte [...] der NEF-Diffusion Deutschland im Griff hat. Diese ist Ableger der NEF-France, die ursprünglich von Louis Malle als eigene Produktionsfirma gegründet worden ist, deren Anteile er aber heute mit zwei großen französischen Produzenten teilen muß.“
(
BERTZ, Dieter (Hrsg.): Filmzeit. Das Off-Kino-Buch Berlin. Berlin (Edition Gato) 1987)
Ab Ende der 80er übernimmt Flebbe dann auch klassische Filmpaläste in Hannover, Hamburg und Berlin, 1991 folgen die ersten Multiplexe in Hannover und Essen. Als nur gut einjährige Episode versuchte Flebbes Cinemaxx AG zwischen 2000 und 2001 auch einen operativen Zusammenschluss mit dem angeschlagenen Ufa-Konzern, der aber wieder aufgelöst wurde. Wie die Kiefts nutzte Flebbe die Filmkunst- und Programmkinoszene als Sprungbrett.
„Aufgrund seiner Herkunft aus dem Filmkunstbereich ist die Flebbe-Gruppe dem deutschen Film gegenüber offener als der Durchschnitt der Branche. [...] Im Gegensatz zu anderen großen Kinoketten hat die Flebbe-Gruppe nicht die Strategie, Monopolist in einer Stadt zu sein.“
(wieder NECKERMANN)
Wie man's nimmt: Neben zwei Cinemaxx-Multiplexen betreibt die Kette dort das Kinocenter am Raschplatz und die Hochhaus-Lichtspiele (beides Filmkunstkinos). Daneben gibt es heute in Hannover nur das Apollo, dem Flebbe/Cinemaxx freundschaftlich gewogen ist, das Kino im Sprengel und das Kommunale Kino im Künstlerhaus – seit dieses vor einigen Jahren zu schließen drohte, gibt es eine Unterstützung in Form des kostenlosen Programmabdrucks in der Cinemaxx-Programmzeitschrift. In dieser inseriert auch das Apollo, nicht aber das Kino im Sprengel.

Die Gegenwart
Nun also ist Flebbe nicht mehr Cinemaxx, kehrt zu seinen Wurzeln zurück und übernimmt die Hochhaus-Lichtspiele. Auch nach den Raschplatz-Kinos streckt er die Fühler aus, so denn der mittlerweile rund eineinhalb Jahre dauernde Umbau jemals abgeschlossen werden sollte. In der Neuen Presse kann man ein langes Interview lesen. Nebenher erfüllt er sich seinen seit ein paar Jahren gehegten Traum vom Premium-Verzehrkino mit fetten Ledersesseln. (Astor Filmlounge, Berlin) Erinnern Sie sich? Vor ein oder zwei Jahren gab es da dieses Interview, Tenor "die Multiplexe müssen gemütlicher werden", da war sogar von Bücherregalen die Reden.
Cinemaxx, dessen Hauptaktionär Herbert Kloiber (Tele München Group) auch "Die Geschichte vom Brandner Kaspar" produziert hat, stößt inzwischen unrentable Häuser ab. Eines davon, das Sterntheater in Göttingen, übernimmt Torben Scheller vom Apollo Kino Hannover (klingelt da was?) zusammen mit Sybille Mollzahn (bekannt von der Nordmedia).

Weihnachten ist eben das Fest der Familie.

3 Kommentare:

kino hat gesagt…

Schön recherchierter Artikel. Leider stimmen die Schlussfolgerungen nicht immer.
Lieben Gruss
Ein Insider

Anonym hat gesagt…

Da fehlen tatsächlich ein paar Infos.
U.a. werden in Sachsen noch einige Häuser durch "Kieft & Kieft" geführt, und auch dass Marlis Kieft noch eine der Geschäftsführerinnen der Greater Union Filmpalast GmbH ist, wird nicht erwähnt.
Aber im Großen und Ganzen gut recherchiert und geschrieben.

Anonym hat gesagt…

Gutn Tag,

falsche Tatsachen aus alten Artikeln werden auch Jahre später nicht richtiger im Wiederholen...
Achim Flebbe war nicht INhaber des APOLLO, wie im Artikel FILM-Korrespondenz Jg. 32, Nr. 11 vom 27. Mai 1986) bahauptet wird. Leider schon damals schlecht recherchiert...