Sonntag, 10. Januar 2010

Rein oder nicht rein...

...das ist hier die Frage. Seit Wochen quälen wir uns: Muss man "Avatar" wirklich gesehen haben? Nach den ersten Be- und Versprechungen musste man mutmaßen, "Avatar" sei der "2001" unserer Kinogeneration. Der dutzendfach gesichtete Trailer lässt anderes befürchten.

Nun bin ich auch kein großer "2001"-Fan, aber die 70mm-Vorführung der restaurierten Kopie im Frankfurter Filmmuseum war wirklich ein außergewöhnliches und mitreißendes Erlebnis. Der "Avatar"-Trailer hingegen verspricht einen gewöhnlichen Actionreißer mit recht üppigen Schauwerten, sehr offensichtlicher CGI und einem dünnen Plot. Ob das Wort Plot auf "2001" überhaupt angewendet werden kann, sei dahingestellt, aber Raum zur Interpretation und Spekulation ist ja auch ein Wert.

Nun, wir kämpfen mit uns. Über die Woche sammeln wir tapfer Motivation und Schaulust, die Woche für Woche samstag mittags bei Sichtung des Trailers und der (gut verkauften) Kinosäle zu einem "Ach, ich weiß nicht..." verpuffen. Letztes Schlüsselerlebnis war der Blick auf einen winzigen s/w-Kontrollmonitor hinter der Kinokasse. Solcherart seiner Aura beraubt, erinnerte der Film verdächtig an einen der 50er-Jahre-Monsterfilme mit Reißverschluss.

Der Kinogänger an sich sollte ja ein experimentierfreudiges Wesen sein, aber nach den Enttäuschungen der letzten Jahre, die mich in fast jedem Film befielen, der Schauwerte versprach, bräuchte es für "Avatar" schon eine Geld-zurück-Garantie. Früher rausgehen ist bei 3D-Aufschlag ziemlich unökonomisch, die einzige Alternative wäre drei Stunden ärgern, wenn es Schrott ist.

Apropos 3D-Aufschlag: solange die Kinokarte für einen 3D-Film 12 EUR an jedem Tag der Woche und zu jeder Tageszeit kostet, selbst Stadtteilkinos mit entsprechendem Equipment über 10 EUR verlangen können, der Nachschub an entsprechenden Filmen rollt und die Säle gut verkauft sind, sehe ich kein echtes Problem bei der Refinanzierung der Geräte.

Wir Filmwissenschaftler lesen ja gerne einen Film als Metapher für das Kino. Im Fall von "Avatar" hieße das, einem Lahmen mittels neuester Technik auf die Sprünge zu verhelfen, auf dass er zu seinen Ursprüngen zurückfinde. Das trifft ja in etwa auf 3D zu, das bis jetzt mehr eine Marketingwaffe als eine ästhetische Offenbarung ist. Zu denken sollte uns geben, dass Avatare an sich leblose Puppen sind...

Dass es anders geht, zeigt "Das Kabinett des Dr. Parnassus". Auch das ist ein Film mit einer sehr klassischen Geschichte und Figurenkonstellation, und er stellt seine ächzende und klappernde Theatermaschinerie deutlich zur Schau. Aber tut es mit Würde, Haltung und Charme, und vergleichbare Schauwerte hat das populäre Kino nur noch selten zu bieten. Anstelle einer Nachbildung und Erhöhung der Realität findet Gilliam zu geradezu Méliès'schen Kategorien zurück: die Effekte dienen wieder der Narration und nicht umgekehrt.