Mittwoch, 26. Dezember 2007

Kino als Lebenswandel

Seit ich berufstätig bin, noch dazu außerhalb der Branche, ist es immer schwieriger geworden, am Kino dranzubleiben. Natürlich lassen sich die Szenenachrichten weiterverfolgen, oder man kann mal Urlaub für eine bestimmte Veranstaltung nehmen. Gar nicht einfach ist es aber, dem aktuellen Programm zu folgen. Wenn man nicht gerade ein 9-to-5-Worker ist, ist der Feierabend ganz schön kurz, um noch in die Stadt zu fahren, einen Parkplatz zu suchen, hinterher spät ins Bett zu kommen und am nächsten Morgen um 6 unausgeschlafen zu sein. Und es gibt ja auch noch drei, vier Dinge, die man abends zuhause erledigen müsste. Spießer? Ja, von mir aus, lasse ich gelten.
Und dann muss ja noch ein Film laufen, den man gerne sehen möchte. Oder besser: der Film, den man sehen möchte, muss auch gerade laufen. Der Mainstream läuft überall zu fast beliebiger Zeit. Die exklusiveren Produktionen nur an bestimmten Tagen auf bestimmten Schienen in bestimmten Kinos, also nicht sozusagen Samstagabends um acht im großen Saal. Gerade Programmkino ist so gesehen ungeheuer bürgertumsfeindlich. Das macht ja seinen besonderen Reiz aus. Es ist von und für Menschen, deren Lebenswandel von großer Unabhängigkeit geprägt ist und die sich das Leben in einer alternativen Parallelwelt – der des Films – leisten. Wundervoll. Und sie lassen da nicht jeden dran teilhaben. Der Preis, eine gewisse prekäre Lebenssituation zu akzeptieren, ist auch nicht gerade niedrig. Freiheit und Sicherheit schließen sich auch im Sozialstaat zu guten Teilen gegenseitig aus. Auch in Kauf nehmen muss man, dass das „echte“ bürgerliche Leben in dieser Szene mit der Zeit ein bisschen in die Ferne rückt. Ob das ein Schaden ist, oder ob man Schaden nimmt, wenn man sich leistet, dauerhaft in Nostalgie und Träumerei zu schwelgen, bleibt jedem selbst überlassen. Auf jeden Fall ist es eine hübsche Belohnung für etwas Prekariat, das einen schließlich ja auch so treffen kann, ohne dass man davon etwas hat. Dann doch besser die bewusste Entscheidung dafür.
So begreift man dann also, warum sich Programmkino gerade im studentischen und Künstlermilieu der Siebziger etablieren musste. Es hilft uns aber noch nicht zu verstehen, warum es heute in diesem Milieu nicht mehr so verwurzelt ist wie damals. Sprechen die Inhalte heute eine andere Szene an? Denkt das Milieu heute pragmatischer? Hängt überhaupt nur alles an der Entpolitisierung? Eine soziologische Studie, die dezidiert dieser Frage nachgeht, steht (meines Wissens) noch aus. Die regelmäßig veröffentlichte Programmkinostudie der FFA gibt über solche Fragen keinen Aufschluss, die Shelljugendstudie wiederum stellt keine Fragen zum Kino. Ihr Soziologen und Pädagogen da draußen, redet mit!
Vielleicht müssen die Filmtheater da ansetzen. Weniger im Stil von „3D ist das neue Cinemascope“ sondern mehr im Sinne von „im Auftrag des Kinogängers“. Ich stelle mir da vorbestellte Karten vor, die man auch noch eine Minute vor Vorstellungsbeginn abholen kann. Exzellente Erreichbarkeit mit den öffentlichen Verkehrsmitteln oder Parkmöglichkeiten. Notfalls Valet Parking, auch wenn ich meinen Mini ungern aus der Hand gebe. Filmbeginn um 19:00 Uhr. Ohne Werbung. Echte Programmkinos haben es da schwer, aber die dürfen es uns auch nicht gar zu einfach machen. Da müssen wir Bürgerlichen einfach mehr Prekariat wagen. Wie wir das dann hinkriegen, dass auch der richtige Film läuft, da müssen wir aber nochmal drüber reden.

Mittwoch, 19. Dezember 2007

Ja wo laufen sie denn...?

Mal eben noch nachgeguckt, welche unterhaltsamen Keywords in letzter Zeit Besucher auf unsere Seite lockten. Hauptsächlich war das "bilderab18" (grummel). Das ist nicht die Sorte Traffic, die beabsichtigt war.
Ein paar Leute aus der Branche wurden gegoogelt (und gefunden), wer, sage ich Ihnen nicht.
Jemand wollte "alle reflexe wo es gibt" wissen, was in mir vor allem einen grammatikalischen Abwehrreflex auslöst.
Außerordentlich gefragt ist auch ein politisch korrektes Brausegetränk, wobei die Nebensuchbegriffe "Finanzstärke", "Marktanalyse" etc. nahelegen, dass das Getränk in den Verdacht gerät, nicht mehr ganz korrekt zu sein.
Manche mutmaßen, dass die "fbw gerettet" sei.
Und allen Kerkeling-Fans sei eins gesagt: "spießer jakobsweg"!

Wacken war gestern

Die Flying Moon Filmproduktion (das sind die, wegen der man das Wort "Wacken" nicht mehr hören kann) hat ein neues Filmprojekt im Rohr und auch schon BKM-Fördergelder dafür abgestaubt. Es heißt Comrades in Dreams, kommt im Januar ins Kino und handelt von Menschen, die Kino machen. Überall. Und man liest die Inhaltsangabe und denkt: Menschen, die Kino machen, sind verrückt. Überall. Und Gott sei dank ändert sich daran nichts.

Der alte Wiedergänger

Neulich hat mal wieder jemand das Kino totgesagt. Hach. Das ist ja nun wirklich ein Gähner. Aber: Volker Schlöndorff war der Schlingel - also in dem Fall darf man sich das Gähnen verkneifen. Zu sagen hat er nicht viel Neues: die Filme zu schlecht und vor allem zu viele und die Kinos arm dran, das hat man dann doch schon mal gehört, und die Vorschläge sind auch nicht gerade neu: Förderung, Kooperationen mit Hotels (gibt's schon), Buchläden (gibt's auch, davon profitiert meist vor allem der Buchladen) und dergleichen mehr. Aber weil's der Schlöndorff sagt, jault die Branche auf. Und Schlöndorff, der eigentlich nur gesagt hat, was alle die ganze Zeit sagen (besonders in der Branche), muss schnell zu Kreuze kriechen und einen langen, müden Entschuldigungsbrief schreiben. Ach Kinders.
Wenn's ein gutes hat, dan haben ein paar Freunde "guter Filme" vielleicht ein schlechtes Gewissen bekommen, weil sie die letzten davon auf DVD gesehen haben. Ich habe sogar das himmelschreiende Sakrileg vollbracht, mir von Volker Schlöndorff eine DVD mit einem seiner Filme signieren zu lassen. Tut Buße! Kauft Kinokarten!

Gepäck

Aus dem Kino nimmt man nicht nur was mit - man trägt auch was hinein. Vor ein paar Tagen erzählte mir eine Kollegin von Ihrem Besuch in Die Ermordung des Jesse James... Sie assoziierte damit eine Verratsgeschichte, die sie zu DDR-Zeiten erlebt hatte. Der sie begleitende Ökonom hingegen entdeckte so manches, was ihn zum Fachsimpeln anregte. Man kann zu zweit ins Kino gehen, aber auch wenn man noch so dicht beisammen sitzt, bekommt man keine Garantie, den gleichen Film zu sehen!

Montag, 10. Dezember 2007

Längst überfällig...

... ist die Auswertung unseres letzten Polls zum Thema "Eintrittspreise im Kino". Dieser hat Folgendes ergeben*: Je 41% der abgegebenen Stimmen besagten, daß die Karten teuer sind, aber nur in manchen Kinos, oder daß Kino ein teures Vergnügen ist, aber nur auf Getränke und Popcorn bezogen. Platz 2 mit immerhin noch 33% ging an das Votum "Nein, Preise sind OK". Jeweils 8% unserer Leser schließlich stimmten dafür, daß Kino teuer sei, aber nur am Wochenende, beziehungsweise, daß die Freizeitaktivität "Kino" zu billig ist, nichts wert in den Köpfen der Menschen.

Diese Zahlen könnte man nun tiefgehend deuten, beispielsweise dahin, daß die Meinung unserer Leser das Multiplex-Gebaren widerspiegelt: Hier sind die Preise oft grundsätzlich teurer als in anderen Kino"arten", dies besonders am Wochenende, und außerdem werden hier in der Breite auch die höchsten Concession-Preise verlangt. Kinokarten für die ganze Familie lassen sich vielleicht noch bezahlen, wenn aber die Kinder Popcorn, Nachos und Co. verlangen, möglicherweise noch mehrfach, wird der Film ein kostspieliger Spaß, und die Meinung bildet sich: Kino ist (zu) teuer (siehe dazu auch den Eintrag vom 12.10.07: "Nackte Zahlen?").
Bei einer solchen Deutung wäre es dann auch nachzuvollziehen, daß immerhin ein Drittel der Meinung ist, die Preise seien gut so, wie sie sind. Könnte man dahinter doch sowohl die Programmkinobesucher als Wähler sehen, als auch Kinobetreiber...

Die ganzen Konjunktive bedingen sich aber durch einen Haken an unserer Umfrage: Teilgenommen haben nur zwölf Personen. Damit war es der am wenigsten in Anspruch genommene Poll, den wir Ihnen bis jetzt zur Verfügung gestellt haben. Offensichtlich ist der Bedarf an Preisdiskussionen zur Zeit gedeckt - hoffen wir, das ist ein gutes Zeichen, denn über Geld redet man bekanntlich nur, wenn keines da ist.

* Mehrfachnennungen waren möglich

Mittwoch, 5. Dezember 2007

Rutsch ma rüber

Und schon wieder ein klassischer Opel im Autokino Gravenbruch: in der aktuellen Print-Ausgabe porträtiert Motor Klassik den Opel Kapitän (mit durchgehender Sitzbank) in artgerechter Umgebung:

"Behutsam zwängt sich die große Limousine an den gelben Kassenhäuschen vorbei. Der Lichtschein der Programmanzeige spiegelt sich auf der gestreckten Motorhaube, unter der sechs Zylinder gelassen ihre Arbeit verrichten. Oder er wird von den klaren schnörkellosen Flanken reflektiert, deren einziges Schmuckelement eine der Länge nach ins Blech gehauene Kante ist. Ein feiner Kunstgriff, der dieses Fahrzeug noch einen Tick flacher und lang gestreckter erscheinen lässt, als es ohnehin schon ist."

Soviel Schwärmerei wird nur bei drei Dingen geduldet: Frauen, Autos, Filmtheater.

Wenn Cinéasten Trauer tragen

Am Wochenende waren wir auf einen Sprung in Frankfurt. Der obligatorische Gang über den Weihnachtsmarkt und die Zeil, und auf einmal ein Anblick der Verwüstung: Das einstige MGM Royal wird abgerissen. Die Fassade war schon weg, von der Einrichtung des Foyers fehlte jede Spur. Dahin geht ein weiterer Kinotraum. Am selben Abend trafen wir zwei gute Freundinnen, die ihr Leben schon seit Jahrzehnten dem Kino verschrieben haben - "zum Heulen", mehr konnten sie dazu nicht sagen. Ich habe das Royal nicht mehr kennengelernt, ich bin erst nach Frankfurt gezogen, als es bereits geschlossen hatte. Ich kenne aber die alten Bilder und die Erzählungen von denen, die noch zu späten Ufa-Zeiten oder der kurzen Jäger-Periode vor der Schließung drin waren. Das reicht für mehr als einen tiefen Seufzer.
Berichtet haben auch das Journal Frankfurt. Bemerkenswert: Vom Abriss war zwar schon länger die Rede (siehe hier), letztendlich kam er aber doch für die meisten überraschend. "Fakten durch Bagger", wie es im Filmvorführer-Forum hieß. Eine Bilderserie finden Sie auf den Seiten der Karlsruher Schauburg, eines ganz ähnlichen Kinos, das sich aber glücklicherweise bester Gesundheit erfreut: Bestes Kino in Baden-Württemberg 2007. Wir gratulieren und wünschen dem Haus eine lange und glückliche Zukunft.

back in business

Die lange Zeit des Wartens hat ein Ende: wir sind wieder online! Damit gibt es keine Ausreden mehr für blogarme Zeiten, außer "ich kam erst um sieben nach Hause und war müde und hungrig". Und da sollten Sie mich nicht provozieren. Sie glauben ja gar nicht, wie garstig ich werden kann, wenn ich müde und hungrig bin.

Sonntag, 2. Dezember 2007

In 80 Kinos um die Welt

...naja, nicht ganz, aber wieder ist ein Fundstück aus einem anderen (Kino-)Land aufgetaucht, das wir unseren Lesern nicht vorenthalten möchten. Es ist zu finden in Khaled Hosseinis Roman "Drachenläufer", der Geschichte einer Freundschaft. Unsere Reise geht heute nach Kabul, aber nicht in das Kabul, das uns aus den Medien so präsent ist wie so viele Kriegs- und Krisengebiete der nahen und ferneren Welt, sondern in ein Kabul vor der Machtübernahme der russischen Kommunisten 1978. Es ist ein Afghanistan aus Sicht von Kindern, die noch Kinder sein durften. Das Wort hat Amir, Sohn aus reichem Hause, das "wir" bezieht sich auf seinen besten Freund Hassan.
"Wir sahen unseren ersten Western - Rio Bravo mit John Wayne - zusammen im Park-Kino, das gegenüber von meinem Lieblingsbuchladen lag. Ich weiß noch, wie ich Baba gebeten habe, uns mit in den Iran zu nehmen, damit wir John Wayne kennen lernen konnten. Baba brach in wahre Salven seines kehligen Lachens aus - ein Geräusch, das dem Aufheulen eines Lastwagenmotors nicht unähnlich war - und erklärte uns, als er wieder sprechen konnte, den Begriff des Synchronisierens. Hassan und ich waren fassungslos. Benommen. John Wayne sprach in Wirklichkeit gar kein Farsi, und er war auch kein Iraner! Er war Amerikaner, genau wie die freundlichen, faulen, langhaarigen Männer und Frauen in ihren zerlumpten bunten T-Shirts, die wir immer in Kabul herumlungern sahen. Wir schauten uns Rio Bravo dreimal an und unseren Lieblingswestern, Die glorreichen Sieben, dreizehnnmal. Bei jeder Vorstellung weinten wir am Schluß, wenn die mexikanischen Kinder Charles Bronson beerdigen - der, wie sich herausstellte, auch kein Iraner war."

Samstag, 1. Dezember 2007

Hardcore

Wenn Sie etwas von uns lesen wollen, sind Sie hier prinzipiell nicht falsch. Besser dran sind Sie aber die nächsten Tage noch mit der aktuellen Ausgabe von epd Film, in der wir Ihnen in einer weiteren Folge der Programmkinoserie schildern, was Sie im Münchner Werkstattkino erwartet. Und wenn Sie uns nicht glauben, dann sehen Sie doch auf der höchst sehenswerten Homepage nach...