Heute endet die 60. Berlinale, und reflexhaft hat sich die Presse zu diesem Anlass wieder mit dem Wesen des Kinos auseinander gesetzt, was die üblichen Blüten trieb.
Die FAZ macht dabei besonders muntere Kapriolen. Am 10. Februar läutete sie die Festspiele mit einem einseitigen Artikel über Dominik Grafs Fernsehmehrteiler (!) "Im Angesicht des Verbrechens" ein. Man muss der FAZ zugute halten, dass sie sich selbst ein bisschen darüber wundert, das klingt dann so:
"500 Minuten Spielfilm, verteilt auf zehn Folgen, in den Dimensionen eines Kinofilms [...] (in jeder Hinsicht: Drehzeit, Geld - inkluvise der Insolvenz einer beteiligten Firma während der reharbeiten -, Sorgfalt, Personal), produziert fürs Fernsehen, uraufgeführt bei einem der drei großen Filmfestivals der Welt, nämlich [...] im Rahmen der Berlinale im Delphi Kino - was ist das?
Eine deutsche Eigenart, so viel ist sicher, die sich der Tatsache verdankt, dass in einigen öffentlich-rechtlichen Fernsehredaktionen [...] noch Redakteure sitzen [...], die ebenso wie der Regisseur Dominik Graf daran glauben, dass man fürs Fernsehen ganz wunderbares Kino machen kann. TV-Kino nennt Graf das, aus den Kinos verschwunden zugunsten von Kino-TV mit seinen halbnah im trüben Licht aufgeblätterten Geschichten und flachen Gestalten, die uns immer an dieselben Punkte führen, wie wir das so oft beklagen."
Den kleinen Seitenhieb, dass im Kino sowieso kein gutes Kino mehr stattfindet und man deswegen gleich was Vernünftiges im Fernsehen schauen kann (?), stecken wir erstmal noch weg.
Aber, weiterlesend, entdecken wir, dass am 8. Februar bereits der obligatorische Abgesang veröffentlicht wurde. "Wie lange wird der Film das Kino noch brauchen?" fragte ein bekannter Filmjournalist und den folgenden Absätzen war zu entnehmen, dass er diese Frage für eine rhetorische hält: Der Film habe sich längst vom Kino emanzipiert. Dass sich zur Aufführung im Filmtheater inzwischen mehr als eine alternative Aufführungspraxis entwickelt hat (wenn man bei den Alternativen denn von Aufführung sprechen will), lässt sich nicht leugnen, wegdeuteln oder -diskutieren. Man muss darin auch nicht den Untergang des Abendlandes oder der Kinematographie sehen (kann es allerdings). In der reinen Verfügbarkeit anderer Möglichkeiten eine Emanzipation zu sehen, erscheint mir aber doch einigermaßen gewagt. Theaterstücke können Sie auch im Fernsehen sehen. Hat sich das Drama deshalb von der theatralischen Aufführungspraxis emanzipiert? Die Omnidisponibilität von "content" (Film, Text, Musik,...), deren aktuellstes Beispiel die neuen eBook-Lesegeräte sind, ist kein Ergebnis von Emanzipation des Inhalts. Sie hat nur etwas mit Konsum und Verkaufen zu tun. Elektronikkonzerne entwickeln rastlos neue Geräte, deren einziger Nutzengewinn ist, "content" nun auch an Stellen zu konsumieren, wo dies bisher nicht möglich war. Ich sage das ohne Wertung, denn auch ich erfreue mich an meinem Smartphone mit Datenflatrate. Aber, lieber Herr A., das ist keine Emanzipation, es ist das Schicksal des Werks im Zeitalter seiner techischen Reproduzierbarkeit. Da sind Sie der Kulturindustrie gehörig aufgesessen.
Im Gegenzug entsteht eine Bewegung von Verehrern der materiellen Substanz, die Freude am Alten, Seltenen, nicht Omnidisponiblen haben. "Zelluloidfetischisten" hat mich und meinesgleichen ein verständnisloser Soziologe einmal genannt. Zu besonderen Anlässen greift dieser Fetischismus auch einmal unter Videorezensenten um sich, etwa, wenn weitere Minuten (richtiger: Meter) von "Metropolis" erjagt wurden und wir einmal mehr das Werk Metropolis feiern, wie wir es noch nie gesehen haben. Wäre der Film so schrecklich emanzipiert, wie oben behauptet wurde, könnten wir das ja dann kollektiv auf Smartphones streamen anstatt mit einem Mordsbrimborium das Werk halbwegs so aufzuführen, wie es einmal gedacht war: auf Film, im Dunkeln, vor einer gesichtlosen Masse, mit musikalischer Begleitung. Werken hat es bisher noch immer gutgetan, sich mit ihnen im Rahmen ihrer intendierten Aufführungspraxis auseinanderzusetzen. Leider schätzen das heute nur noch wenige, oder nur zu ausgewählten Gelegenheiten. Praktisch gesehen gäbe es ja keinen Grund mehr, sich stundenlang in die Kälte zu stellen, um im Städel die Botticelli-Ausstellung zu sehen. Sie können die Bilder doch auch irgendwo anders auf dem Smartphone anschauen.
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