Samstag, 26. April 2008

KINO 2008 - Die ganz große Nachlese

Ein paar Grundsätzliche Dinge wurden beim diesjährigen HDF-Kongress ziemlich schnell klar: der Point of no return zum digitalen Kino ist überschritten, es geht jetzt nicht um um das ob, sondern nur noch um das wie, das wann ergibt sich zwangsläufig. Gejammert wird nicht mehr, das Kinojahr 2007 war zwar mies, aber lautes Heulen gibt nur schlechte Presse, und von der werden die Besucherzahlen nicht besser. Also nach vorne schauen.

In der Eröffnungsrede merkte Dr. Negele an, das Denken sei noch 35mm, und klar, das stimmt, wie sollte es auch anders sein. Jede Frage nach so etwas wie Startkopien, Förderkopien etc. erübrigt sich, denn die Kategorien sind andere geworden. Was aber auch wieder auffällt, ist das strikte Warendenken in diesem Teil der Branche, nur wenn es darum geht, Fördergelder aufzubringen, wird die Kulturflagge gehisst (allerdings läuft auch der alternative content von der Oper übers Fußballspiel bis zum Game unter Kultur - solange er im "Kino"saal stattfindet). Mit der Digitalisierung wird das nicht besser werden. Den sozialistischen Gedanken "Startkopien für alle" darf man getrost in der Utopieschublade lassen, das haben die Verleiher deutlich gemacht.

Im Folgenden ein sehr subjektiver Rückblick auf die besuchten Veranstaltungen:

Vorstellung der Filmbefreier-Kampagne der ZKM:
Zwei Details mit Charme fallen auf: In einer Aktion quetscht die ZKM eine Kontorsionistin in ein Fernsehergehäuse - das hat was. Zum Glück ist es kein Flat Screen. Und das Video von der Paderborner Kino-Demo ist ein 1A-Youtube-Pixelbrei, der hier in Baden-Baden auf der großen Leinwand für die große Leinwand wirbt. In bester Demo-Veranstalter-Manier addiert ZKM rund 20% Teilnehmer auf die Medienberichterstattung drauf.

Trendforscher-Panel:
Wahrscheinlich die beste Veranstaltung, die ich je auf einem Kinokongress erlebt habe. Leider konnten sich die Praktiker im Saal nicht für die Theorie auf dem Podium erwärmen. Noch tagelang hört man Kommentare über die "etwas trockene Theorie", vom lapidaren "des is doch ois scho do g'wesn" bis zur aufgebrachten Rechtfertigung. Welcher erfahrene Handwerker lässt sich schon gern Unprofessionalität und Anachronie nachsagen?
Genau das warfen Jörg Domhöfer (sinus sociovision), Prof. Hennig-Thurau (Filmökonom, Bauhaus-Uni Weimar) und Prof. Dirk Blothner (Filmwirkungsanalyse, Uni Köln) aber dem Publikum an den Kopf. Und ihre Argumente waren gut.
Eine Auswertung der Sinus-Milieus etwa zeigt, dass die Kino-Fans vor allem im Bereich der jungen, wohlhabenden und technisch interessierten Deutschen zu finden sind. Technisch ist 35mm aber der Zeit hinterher (was schöner ist, steht hier mal ausnahmswese nicht zur Debatte). Kino ist, lernen wir von Hennig-Thurau, no place for freaks. Wo bleibt das Filmkompetenzzentrum, der "one-stop-shop", wo man von kompetentem Personal beraten wird und zu einem Film im Saal draußen auch die anderen DVDs des Regisseurs, Schauspielers, die CDs des Komponisten etc. pp. kaufen kann?
Da merkt man schon: mit dem Kino, wie wir es seit etwa 1895 in relativ unveränderter Weise tradiert haben, ist es gründlich vorbei. "Kino", will es ökonomisch bestehen, wird in Zukunft so etwas sein wie das Home-Cinema mit Playstation und Satellitenanschluss, nur größer, schärfer, lauter und manchmal in 3D. Und vielleicht auch wieder mit Bedienung am Platz. Die Werbung wird über eine zentrale Datenbank aller Kinos genau die richtigen Leute erreichen. "Der Kintop ist tot - es lebe das Zielgruppenkino", verkündete Domhöfer. Nur das, technisch aufpoliert, wird noch außergewöhnlich und exklusiv genug für die Leitmilieus sein. Im Gegensatz zum Heimkino ist es aber leider schrecklich unkommunikativ.
Hennig-Thurau empfiehlt den Kinos eine intelligentere Preisdifferenzierung: nicht mehr nach Tag, Uhrzeit, Loge und Student (kompliziert genug), sondern nach Spielwoche, Zielgruppe, Budget/Attraktivität des Films und so weiter. "Event films need event ticket prices", heißt das. Kein dummer Gedanke, um "Ertragspotentiale zu realisieren". Aber wie um alles in der Welt soll das Kino so jemals den Ruf des teuren Vergnügens los werden? Und wie reagiert ein Kinobesucher, wenn er für "Indiana Jones" zwei Euro mehr bezahlen soll als ein anderer für "Love Vegas" an der Kasse nebenan? Eine Betriebstypendifferenzierung, wie er sie weiter empfiehlt, haben wir - nur einer dieser Betriebstypen versteht es nicht recht, ein Kino nicht wie das andere aussehen und anfühlen zu lassen. Ich bin gespannt auf die Multi-, Kulti-, Mono- und Eventplexe.
Aber trotz allen Spotts und aus schierem Idealsimus geäußerten Zweifeln: Abwegig sind die Gedanken nicht. Sie passen nur nicht zu unserem Bild vom Kino, obwohl wir sie in Dutzenden anderer Wirtschaftsbereiche selbstverständlich akzeptieren. 35mm-Denke eben.
Eine Idee, für die ich mich sofort erwärmen konnte, ist die "Film Business Academy". Das wäre der Schraubstock, in dem man Handwerker, Denker, Ökonomen und Kreative wenigstens vorübergehend zusammenhalten könnte. Damit zusammenwächst, was nicht zusammengehört, oder -gehören will.
Was Blothner über die "Verwandlung auf einem sicheren Stuhl" erzählte, war dann tatsächlich mehr etwas für Filmwissenschaftler und Psychologen. Schön aber seine Deutung des Begriffs Filmpiraterie: Für ihn sind das Menschen, die das Kino auseinander nehmen, die in Filme gehen, um sie auf einer ironsichen Metaebene für etwas anderes zu benutzen. Und achtung, bevor Sie lachen - nicht nur Pubertierende tun so etwas, auch mancher Filmkritiker und -theoretiker kommt mir so vor. Um ehrlich zu sein, die meisten. Bei Blothner läuft das unter "zeitgenössische Nutzungsformen". Zeitgeist. Das geht vorbei. Wie '68 oder die letzte Fußball-WM. Gerade deshalb, findet er, muss man aber Kindern und Jugendlichen nicht mit viel Erklärungen über Filmästhetik, Ideologie und sowas kommen, sondern ihnen den Zauber des Kinos nahebringen. Ein schöner Gedanke, wenn auch viel Polemik in ihm steckt. Wie auch in seiner Schlußthese, man müsste "Kino als gegen den Strom schwimmende Unterhaltungsform" etablieren. Glaubt man Domhöfer, hat das Kino das schon getan. Bei so einem Satz oder einer Bemerkung wie "machen wir Cocooning doch zu unserem Geschäftsmodell" (Hennig-Thurau) klopfen sich die Anachronisten auf die Schulter.
Am Ende bleibt nur die Idee des Modellkinos: versuchen wir's mal. Wer traut sich? Wir hätten auch schon einen Namensvorschlag. Sehen Sie mal ganz oben auf die Seite.

Seminar: Sind wir noch Kino?
Das nun wäre für mich nach den obigen Überlegungen die alles entscheidende Frage des Kongresses gewesen. Leider auch für so viele andere, dass der Seminarraum sie nicht in der Lage war, zu fassen. Wir standen auf dem Flur, hörten nix und mussten uns die Antwort selber geben. Zwei Leute kamen mir aus dem Saal entgegen, wutschnaubend über den größten Blödsinn, den sie je gehört hätten. Ja, wer weiß.

Der Vortrag über den "Goldesel Generation 50plus" war die große Enttäuschung. Wer hätte schon geahnt, dass Menschen "über 60" (siehe Titel des Vortrags) schlechter sehen, weniger mobil sind, Sauberkeit und Bequemlichkeit schätzen, dafür gerne etwas mehr zahlen und nicht gerne lange anstehen?

Die Vorstellung der Imagestudie Deutscher Film brachte auch keine weltbewegenden Überraschungen mit sich. Gelernt haben wir, dass nur Kinofilme sich unsympathische Charaktere leisten können und Literaturverfilmungen bei uns angeblich dehalb so gut gehen, weil wir keine richtigen Stars haben. Willkommen im Land der Dichter und Denker, uns geht halt nix über unsern Goethe. Alle paar Jahre kommt dann mal Til Schweiger und sorgt mit sechs Millionen Besuchern für die Ausnahme, die die Regel bestätigt.
Am Ende dreht sich wieder vieles um die Förderung und um die Frage "Wer setzt die Schere bei der Zahl der Produktionen an und wo?", nur eine Antwort hat man immer noch nicht gefunden. Falls Sie sie wissen, freut sich die MFG in Baden-Württemberg auf Ihre Antwort. Stefan Arndt wandelt mit dem "Filmkompetenzzentrum" auf nicht erst seit Prof. Hennig-Thurau ausgetretenen Pfaden, die mit DVD-Vitrinen gesäumt sind. Frank Völkert von der FFA ist es dann, der fordert, aus den Kinos keine "Sportsbars" zu machen, heißt: lasst bitte wenigstens das Fernsehen draußen. Seine berühmten Fußball-Metaphern kamen diesmal nicht überall gut an: "Können Sie das nochmal für Nicht-Fußballer ausdrücken?"

Aus dem sehr unterhaltsamen Dienstleistungsseminar von Söhnke Thomssen nehme ich vor allem einen genialen Psychotest mit. Wenn Sie Filmfreak sich für einen guten Beobachter halten, wird Sie dieses Video Demut lehren. Zählen Sie ganz genau, wie oft die weiße Mannschaft den Ball hin- und herpasst. Die Auswertung Ihres Ergebnisses erhalten Sie hier, unter der Überschrift "
Sustained inattentional blindness ...". Weitere Erkenntnisse für den Alltag: wenn ein Mensch Dampf ablässt - lassen Sie ihn brüllen. Dauert im Schnitt nämlich nicht mehr als 20 bis 30 Sekunden.
Aussichtslose Beschwerden, hört man in der Diskussion, treten im Kino vor allem an zwei Punkten auf: bei mitgebrachtem Essen und bei der FSK. Während die Nordlichter hier diskutieren bis zur Verzweiflung, parieren die Bayern mit einem kessen Spruch.

Der Workshop zur Mitarbeitermotivation ist gelebtes Teleshopping. Eine attraktive junge Frau verrät einem Psychotipps, die man aus jeder Fernsehzeitung kennt. Nachdem sie sich damit über die Zeit gerettet hat, pariert sie die intensiven Fragen mit: "Oh, jetzt muss ich aber wirklich aufhören, aus Kollegialität den anderen Veranstaltern gegenüber. Ihre Frage geht da sehr in die Tiefe, das sollten wir unbedingt individuell angehen. Das würde ich gerne machen. Visitenkarten liegen hier vorne aus."

Da hätte ich meine Zeit mal besser auf der Independent-Tradeshow oder in den Workshops zur Digitalisierung verbracht. Dann wüsste ich jetzt, wie weit das Thema 4K in Deutschland ist. Gelesen habe ich schon, dass man bei 4K-Projektoren die Pixel nicht mehr sieht und die Auflösung so gut ist, dass sie das Filmkorn abbilden kann. Klingt beeindruckend, aber es ist eine Perversion, nicht? Sony jedenfalls verteilt schon mal Schlüsselbänder mit goldenem 4K-Logo. Heute in der Hosentasche, morgen im Kopf, übermorgen im Projektionsraum. Zu den übrigen Tradeshows kann ich sagen: ein Verleiher hat nahezu alle Favoriten auf den größten Käse des Jahres gebucht, ein anderer ist dichtauf. Die übrigen haben mich positiv überrascht. Habe ich mir letztes Jahr in Baden-Baden noch bei 90% der Produktionen an die Stirn geschlagen, war dieses Jahr viel Solides dabei.
Prokino verkündete, "Bienvenue chez les ch'tis" in die deutschen Kinos zu bringen, aber erst, wenn die Synchro überzeugend ist. Nach allem, was ich über den Film gelesen habe, dürfte das nie eintreffen. Schonmal was von OmU gehört?
Einen unterhaltsamen Dialog verfolgte ich dann noch nach den Trailern zum neuen Actionfilm mit Angelina Jolie, dem neuen Hellboy und der neuen Mumie:
"Na, so a G'schmarrn, der Film mit der Jolie."
"Was? Der war doch geil. Nur geil. So muss a Äktschnfilm sein."
"Naa. Tschuldige, aber des is mir zu überzogen."
"Überzogen? Des ist Äktschn. Des muss überzogen sein. Der Hellboy und der Hulk - des is überzogen."
"Naa, des is Fantasy. Aber a Äktschnfilm, der muss... also dem Bruus Willis, dem kauf ich des ab. Der is einfach so verrückt."

Der große Knaller, auf den dann doch nicht alle gewartet haben, war natürlich die Vorstellung des 100er-Modells zur Finanzierung der Digitalisierung. Auf programmkino.de ist es schön knapp dargestellt. Ein paar Fragen blieben für natürlich offen, für mich vor allem: was passiert, wenn es wieder mal ein richtig schlechtes Kinojahr gibt und sich der eine oder andere die 375 EUR pro Leinwand plötzlich nicht mehr leisten kann? Die Antwort von Bernd Papenstein kommt schnell, direkt und unverblümt: "Die gehen dann pleite." Zack. Die "Marktbereinigung" wird kommen, aber die Branche scheint sie zu akzeptieren. Bei der Vorstellung des 100er Modells wurde jedenfalls eher Beifall als Protest laut. Immerhin scheint es für alle Beteiligten machbar, die Verleiher spielen mit, die genannten Summen sind realistisch, und es deckt 3.700 Leinwände ab. Die übrigen rund 1.100 spielen nicht permanent und fallen damit aus dem Modell. Auch ist es einfach zu erklären: die Virtual Print Fee wird an ein "virtuelles Kopierwerk" gezahlt, heißt, sie fällt da an, wo bisher ein Kopierwerk ins Spiel gekommen wäre. Also nicht bei Nachaufführungen, aber bei Startkopien, bei Erhöhung der Kopienzahl, bei Neuanfertigung von Kopien von Repertoirefilmen... das kapiert jeder.
Völlig neu gedacht werden muss dort, wo man bisher von Start- und Förderkopien sprach. 3D bleibt Luxus, den man selber finanzieren muss, das ist einsichtig. Ob nun der Staat auch die fehlenden 60 Mio. EUR beisteuert? Kinowelt-Kölmel hat da eine findige Idee: im Sinne der LOHAs über die Öko-Schiene argumentieren: 35mm-Kopien sind Sondermüll, und der entfällt jetzt. Klar, da hat er die Rechnung ohne die Energiekosten für Großrechner, Server und stärkere Projektorlampen gemacht. Aber das Argument hat was. Vielleicht fällt Vater Staat drauf rein, beim E10-Sprit hätte es ja auch beinah geklappt.

Die Umstellung beginnt, davon gehen die meisten jetzt aus, 2009. Wer zuerst drankommt und wie man dafür sorgt, dass die, die später dran sind, nicht zu spät dran sind, weiß noch keiner so genau. Bei der KINO 2009 wissen wir mehr.

Keine Kommentare: