Samstag, 15. September 2007

In Farbe!

Neulich saßen wir mit einem Freund zusammen, wir sprachen - Sie erraten's - über Filmtheater, und er beschrieb eins, in dem er kürzlich gewesen war, mit den schwärmerischen Worten: "Ich gehe in den Saal und sehe: rot! Kino-rot!"
Ja, das Rot hat sich schon als eine DER Farben für die Kinosaal-Ausstattung schlechthin etabliert. Kein Wunder, als Farbe des Lebens und der Sünde. Kaum ein Saal kommt ohne rote Sessel oder roten Vorhang aus, als Alternative gibt es fast nur dunkelblau und natürlich das zweckmäßige Schwarz, das jegliches Restlicht im Saal schluckt und die Farben des Films dafür umso mehr strahlen lässt - unerreicht in Kubelkas "Invisible Cinema". Und sonst? Ich kenne tatsächlich ein Frankfurter Multiplex, das mindestens einen grünen Saal besitzt. Ich erinnere mich nicht, öfter als einmal drin gewesen zu sein, weiß aber noch, dass mich der Anblick irritierte. Die Endstation in Bochum hat ihren schwarzen Saal mit orangen Sesseln aufgepeppt - auch etwas, das in Erinnerung bleibt, und das Deutsche Filmmuseum hat bei den Polstern zu einem dezenten Grauviolett gegriffen. Jeder Klecks außerhalb der Skala der Rot-, Blau- und Grauschattierungen wird gleich zum Hingucker. Welchen Eindruck müssten Kinos wie dieses heute auf uns machen:
"Das ohne Prunkaufwand errichtete Theater liegt im dichtest besidelten Norden Berlins und hat 2000 Sitzplätze. Die die Bühne flankierenden Fontainen mit von innen frabig beleuchtetem fließenden Wasser bilden die einzige Konzession an das Sensationsbedürfnis des Publikums. [...]" (über den Berliner Mercedes-Palast, aus: Fritz Wilms, Lichtspieltheaterbauten, 1928)
Ohne Prunkaufwand? Naja.
"Im Theaterraum, der 1200 Plätze im Parkett und 500 Plätze auf dem Rang enthält, sind die Wände und Decken in zartem, lichtem Elfenbeinton gehalten mit Ausnahme des gewölbten Deckenrundes, das mit Rücksicht auf die indirekte Beleuchtung weiß geblieben ist. Alle architektonischen Verzierungen [...] sind in Silber gehalten. Die einzig farbige Note bildet das Lichtblau der Dekorationen an Fenstern und Türen, des Vorhangs und der Bezüge des Gestühls. Der Zuschauerraum hat eine vornehme Behaglichkeit, umso mehr, da er durch farbige Beleuchtung in weißes, blaues, rotes oder violettes Licht nach und nach heller oder dunkler eingestellt, getaucht werden kann." (über das Ufa-Theater in Berlin-Moabit, selbe Quelle)
Die Farben sind zwar noch die gewohnten - rot, blau, immerhin schon violett - aber hier ist es schon das Licht selbst, das den Raum in Farbe taucht. Und wie mag wohl ein lichtblauer Vorhang aussehen? Aber jetzt, vor die Tür:
"Parkett- und Rangfoyer mit Garderobenanlagen sind geräumig und mit zarten Farben behandelt worden. Im Parkettfoyer sind die Wände hell mattgelb, die Decke weiß [...], während die Vorhänge der Garderobe aus hell mattgrünem Sammet bestehen. Im Rangfoyer sind die Wände erdbeerrosa mit sanft beschwingten, zarten Wandmalereien und die Decke in einem lichten Mattgrün ausgeführt worden. Die Türeinfassungen, die Umrahmung der Garderobe und die ornamentalen Bildhauerarbeiten sind in Silber gehalten, während die Vorhänge der Fenster und der Garderobe aus hellgrünem Sammet bestehen." (wieder über das Ufa-Theater, selbe Quelle)
Pastellinferno oder Augenschmeichler - wer kann es heute noch ahnen. Die Nuancen von grün und rosa nehmen jedenfalls auch im angrenzenden Café kein Ende:
"Die Wände sind matt meergrün und zeigen zarte Malereien von Jagd- und Schäferszenen. Alle Nischen, wie das Orchester, die Foyers und die Garderoben sind fraisefarbig abgesetzt. Die ornamentalen, architektonischen Verzierungen und Bildhauerarbeiten sind in Silber gehalten. Die Decke ist mattblau und zeigt in der Mitte ein Rundfeld, von dem aus sich sternförmig ornamentales Blattwerk über die Decke erstreckt, das in silbernen Strahlen ausläuft." (über das angrenzende Café Vaterland "Turmstraße", selbe Quelle)
Die Beschreibung auch anderer Kinos geht immer so weiter, doch dort dominieren die Rottöne: pompejanischrot, bischofsrot, scharlachrot, weinrot... abgesetzt mit Gold, Silber, Hellviolett, Bräunlich-Gelb, Schwarz und Azurblau. Gibt es heute nicht mehr? Ha!
"Bei der Farbgebung des neuen Plafonds entschieden wir uns - wie immer - für eine sehr eigenwillige, aber genau durchdachte und historisch motivierte Version. Kennen Sie die Farbenlehre von Hermann von Helmholtz? Der geniale Wissenschaftler legte in den 60er Jahren des 19. Jahrhundert seine bahnbrechendes "Handbuch der physiologischen Optik" vor, das bis ins 20. Jahrhundert international als Standardwerk galt und das, wie wir feststellten, offenbar auch den Baumeistern des Lindenfels als Grundlage für ihre Farbauswahl diente. Helmholtz beschreibt darin die drei "reinen Farben", die er als Grundfarben des Farbspektrums definierte. In unserem Saal fanden wir an der historischen Decke Reste eines uns zunächst verstörenden Blauvioletts, das neben Rot und Grün früher offenbar die Farbgebung des Raumes wesentlich bestimmte. Genau diese drei Farben sind die Grundfarben nach Helmholtz.
Neben der günstigen Wirkung einer dunklen Deckenfläche für Theater und Kino stellt sich nun durch die blauviolette Farbgebung noch ein ganz besonderer Effekt ein. Die Wirkung der Decke verändert sich je nach Beleuchtung ganz erheblich. So können sehr unterschiedliche Raumatmosphären erzeugt werden. Schauen sie selbst."
So schrieben die Betreiber des Kinos in der Schaubühne Lindenfels or einiger Zeit über die Renovierung des Kinosaals (Text ist nicht mehr online). Der Rotton des Kinovorhangs in diesem Saal ist von einer Dunkelheit und Tiefe, wie man sie sich nicht vorstellen kann. Das Geheimnis dahinter: Der Vorhang ist in Wahrheit schwarz. Nur das Licht der Scheinwerfer, die ihn von unten beleuchten, ist rot. Und eine Etage höher wartet der "Grüne Salon" auf die, die Farbe bekennen.

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